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Wolfgang Hohlbein -

Wolfgang Hohlbein -

Titel: Wolfgang Hohlbein - Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Inquisito
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zurückläßt. Sie haben keinen Streit mit dir.«
    »Aber ich mit ihnen«, erwiderte Tobias grob. »Ich kann dich nicht hier lassen, Katrin. Ich bin für dich verantwortlich. Ich wäre es auch, wenn du nicht die wärst, die du bist.«
    Einen Moment lang versuchte er sogar, sich einzureden, daß er die Wahrheit sprach; daß er dasselbe für jede andere Frau getan hätte - aber natürlich stimmte es nicht. Bei jeder 337
    anderen hätte er getan, was schon lange seine Pflicht gewesen wäre, nämlich Buchenfeld zu verlassen und sich auf den Weg zu machen, um Hilfe zu holen und diese teuflische Verschwörung wider Gott und die Kirche zu zerschlagen.
    Aber Katrin war nicht jede andere. Und er wußte plötzlich mit unerschütterlicher Sicherheit, daß es richtig war, was er tat. Wenn er sie verriet, dann verriet er nicht nur sich selbst, sondern alles, woran er jemals geglaubt hatte. Denn was war der Glaube an Gott anderes als Liebe? Und welche größere Sünde konnte es geben, als diese Liebe zu verraten, nur weil er Angst um sein eigenes jämmerliches Leben hatte?
    »Ich liebe dich«, flüsterte er. Die drei Worte kosteten ihn unendliche Überwindung. Er hatte sie niemals zuvor in seinem Leben selbst ausgesprochen, ja, sie hatten ihn, wann immer er sie hörte, mit einem unangenehmen Gefühl erfüllt, waren ihm kindisch und pathetisch vorgekommen. Und
    doch waren sie alles, was zählte. Vielleicht das einzige, was dem menschlichen Leben einen Sinn gab. Es war nicht wichtig, irgend etwas zu tun. Es war nicht wichtig, die Welt zu verändern oder das Schicksal der Menschen. Es war nicht einmal wichtig, geliebt zu werden. Alles, was zählte, war, Liebe für einen anderen Menschen zu empfinden - und danach zu handeln.
    »Ich weiß«, antwortete Katrin. Sie kam näher, schloß ihn kurz in die Arme und küßte ihn zart. Es war nur ein Hauch, der seine Lippen berührte. Er fühlte in diesem Moment kaum mehr als eine flüchtige Berührung, und doch besie-gelte dieser Kuß den Pakt, den sie stumm miteinander geschlossen hatten, endgültig.
    Tobias ergriff ihre Hand und führte sie aus der Kammer.
    Diesmal fiel es ihm leichter, den Weg durch den dunklen Raum zu finden. Seine Augen hatten sich an das schwache Licht gewöhnt. Trotzdem stieß er mehrmals im Dunkeln irgendwo an, und auch Katrin stolperte und wäre beinahe gestürzt, hätte er sie nicht gedankenschnell aufgefangen. Sie erreichten die Treppe. Tobias blieb einen Moment stehen, um zu lauschen, nickte Katrin wortlos zu und ging voraus.
    Das Haus war so still wie vorhin, als er gekommen war, 338
    und auch auf der Straße regte sich nichts. Katrin wollte sich unwillkürlich nach links wenden, der schmalen Straße zum Fluß und dem Wald zu, aber Tobias schüttelte den Kopf und deutete in die entgegengesetzte Richtung. Der Himmel glühte noch immer dunkelrot im Widerschein Hunderter von
    Fackeln, aber sie konnten es nicht riskieren, sich der teuflischen Prozession zu weit zu nähern. Er wußte nicht, wie lange sie noch andauerte. Sobald die Leute merkten, daß Katrin geflohen war, würden sie zweifellos ausschwärmen und sie jagen. Und sie würden zuerst im Wald nach ihr suchen.
    So durchquerten sie die Stadt in der entgegengesetzten Richtung und machten sich daran, den Erdwall zu erklimmen. Er war an dieser Stelle sehr steil, fast schon eine Mauer, so daß sie nicht auf Händen und Knien hinaufkrie-chen konnten, sondern klettern mußten. Tobias verließen beinahe die Kräfte. Das lockere Erdreich gab immer wieder unter ihm nach. Seine Sorgen um Katrin erwiesen sich jedoch als unbegründet. Obgleich erst vor wenigen Tagen vom Totenbett auferstanden, schienen ihre Kräfte weitaus größer zu sein als seine.
    Der Abstieg gestaltete sich zu ihrem Glück einfacher. Sie schlitterten und rutschten den Wall hinab, ohne sich ernsthaft zu verletzen. Und wieder war es Katrin, die vor ihm auf den Füßen war und die Hand ausstreckte, um ihm aufzuhel-fen.
    »Und jetzt?«
    Tobias überlegte einen Moment angestrengt. Wenn er ehrlich war, mußte er sich eingestehen, daß ihre bisherige Flucht ziemlich kopflos verlaufen war. Er hatte eigentlich nur daran gedacht, aus der Stadt zu kommen. Sicher - mit ein wenig Glück würden die Buchenfelder erst am nächsten Morgen entdecken, daß Katrin nicht mehr in ihrer Zelle saß, wie auch Temser erst bei Sonnenaufgang herausfinden mochte, daß sein Gast sich davongemacht hatte. Aber darauf konnten sie sich nicht verlassen. Vielleicht kehrte die unheilige

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