Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wolfgang Hohlbein -

Wolfgang Hohlbein -

Titel: Wolfgang Hohlbein - Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Inquisito
Vom Netzwerk:
zuvor in seinem Leben, aber er war auch immer wieder stehengeblieben und hatte sich angstvoll umgesehen, darauf gefaßt, eine Gestalt mit bleichem Gesicht und Knochenfingern aus dem Schatten herausspringen und nach sich greifen zu sehen. Doch nichts dergleichen war passiert. Buchenfeld war still und dunkel und von Kälte und Schweigen erfüllt. Mehr denn je hatte er das Gefühl gehabt, sich gar nicht durch eine Stadt voller lebender Menschen, sondern über einen riesenhaften Friedhof mit bizarren, häusergroßen Gräbern zu bewegen. Nur, daß diese Gräber in dieser Nacht wirklich leer waren, weil ihre Besitzer die Stadt verlassen und sich vor ihrem Tor versammelt hatten, um den Tod anzubeten.
    In Schweiß gebadet, erreichte er das Haus und stürmte hinein. Ohne seine Schritte zu verlangsamen, durchquerte er die Halle mit dem Kamin, rannte die Treppe hinauf und blieb erst kurz vor der Klappe zum oberen ersten Stockwerk stehen. Seine überreizten Nerven gaukelten ihm Bewegungen und Laute vor, die nicht da waren. Ein Huschen und Schleifen in den Schatten, ein helles, wisperndes Lachen, wie von 333
    bösen Kinderstimmen, ein Wogen und Gleiten, als wäre die Dunkelheit nun selbst zum Leben erwacht. Für einen
    Moment glaubte er gar zu spüren, wie die Treppe unter seinen Füßen unter den Schritten eines unsichtbaren Verfolgers vibrierte, bis ihm klar wurde, daß es das Zittern seiner eigenen Knie war.
    Pater Tobias zwang sich mit aller Gewalt zur Ruhe, schloß die Augen und ballte für einen Moment die Fäuste; so heftig, daß sich die Fingernägel in die Handflächen gruben.
    Vorsichtig ging er weiter, stemmte Handflächen und
    Schultern gegen die Klappe, die das obere Ende der Treppe verschloß, und öffnete sie einen Spaltbreit.
    Der große Saal war vollkommen in Finsternis getaucht.
    Tobias blieb eine geraume Weile stehen, versuchte die Schwärze mit Blicken zu durchdringen und lauschte angestrengt. Er sah nichts, und er hörte auch nichts. Und wahrscheinlich war seine Vorsicht auch übertrieben, denn schließlich hatte er Bresser ja selbst inmitten der fürchterlichen Prozession gesehen. Trotzdem war es natürlich möglich, daß er jemanden zurückgelassen hatte, um Katrin zu bewachen.
    Mit zusammengebissenen Zähnen schob er die schwarze Klappe weiter auf, bis das Gegengewicht an ihrem anderen Ende sich zu senken begann und der Druck von seinen Schultern wich. Mit einem Knirschen und Mahlen, von dem Tobias in diesem Moment fest überzeugt war, daß es bis zum anderen Ende der Stadt gehört werden mußte, begann die einfache Mechanik zu arbeiten. Tobias trat mit zwei, drei raschen Schritten ganz von der Treppe herunter und richtete sich wieder auf und lauschte einen weiteren Moment. Aber es blieb auch jetzt vollkommen still. Hier war niemand. Und warum auch? Den einzigen Schlüssel zu Katrins Zelle, den es außer dem Theowulfs noch gab, trug er selbst bei sich, und Bresser und alle anderen wähnten ihn auf Temsers Hof, in sicherer Entfernung und zudem von einem Betäubungs-mittel in tiefen Schlaf versetzt.
    Er versuchte, sich im Dunkeln zu orientieren, und tastete sich mit weit vorgestreckten Armen in die Richtung, in der 334
    er Katrins Zelle wähnte. Natürlich fand er sie nicht auf Anhieb: Mehrmals stieß er schmerzhaft gegen ein Hindernis, und einmal riß er irgend etwas um, das mit einem gewaltigen Poltern und Krachen auf den Boden aufschlug und zerbrach. Doch schließlich berührten seine tastenden Finger den rauhen Stein der Wand. Er überlegte einen Moment, gestand sich ein, daß er keine Ahnung hatte, in welchem Teil des gewaltigen Raumes er sich im Moment befand, und wandte sich willkürlich nach links. Und schon nach wenigen Schritten wich das rauhe Mauerwerk unter seinen Fingerspitzen feuchtem, kaum weniger rauhem Holz.
    Tobias zog hastig den Schlüssel hervor, suchte im Dunkeln nach dem Schloß und entriegelte es umständlich. Er verlor einige weitere kostbare Sekunden, als er in seiner Hast versuchte, die Tür in die falsche Richtung zu öffnen, und der Lärm, den er dabei vollführte, mußte in der ganzen Gasse zu hören sein, bedachte er die Grabesstille, die sich über Buchenfeld ausgebreitet hatte.
    Als er die Tür endlich öffnete und geduckt in die Zelle trat, sahen seine Augen zum ersten Mal wieder ein Licht: einen bleichen, grauen Schimmer, der durch das Fenster hereindrang und den Raum und seine Einrichtung in ein körniges, schwarz-graues Relief mit bizarren Formen verwandelte.
    Katrin war

Weitere Kostenlose Bücher