Wolfgang Hohlbein -
das!
Was muß noch geschehen, damit ihr begreift, daß sie es ist, die die Schuld an eurem Unglück trägt. Sind euch noch nicht genug Tiere gestorben? Sind eure Ernten noch nicht genug verdorrt? Sind eure Kinder nicht krank genug? Ich befahl euch, sie zu töten, doch statt dessen habt ihr zugelassen, daß dieser Pfaffe hier überall herumschnüffelt!«
»Herr . . .« antwortete Temser kleinlaut, »wir können doch nicht -«
»Jagt ihn davon!« unterbrach ihn der Knochenreiter zornig. »Jagt ihn aus der Stadt, wie ihr es mit dem anderen getan habt! Und wie ich es euch befohlen habe, es mit allen zu tun, die kommen und den falschen Glauben predigen!«
»Aber Herr, er ist ... ein Inquisitor«, antwortete Temser.
Seine Stimme zitterte vor Angst. Und trotzdem brachte er jetzt den Mut auf, den Kopf zu heben und direkt in das schreckliche Totenkopfgesicht des Reiters zu blicken. »Er ist nicht irgendwer«, fuhr er fort. »Wir können nichts gegen ihn tun. Wenn wir ihn davonjagen, dann wird er dem Bischof Mitteilung machen. Und wenn wir ihn töten, werden sie einen anderen schicken.«
»Und ihr werdet auch den verjagen oder töten, wenn es sein muß«, antwortete der Knochengesichtige. »Es sind falsche Priester. Sie predigen Liebe, aber sie säen Haß und Verzweiflung in die Herzen der Menschen. Habt ihr vergessen, wie es war, als der Pfaffe über euch herrschte? Habt ihr vergessen, was geschah, als ihr ihn um Hilfe batet?«
»Natürlich nicht, Herr«, sagte Temser hastig. »Aber die Kirche ist mächtig, und wir müssen vorsichtig sein. Ich glaube, der Inquisitor hat bereits Verdacht geschöpft. Wenn wir jetzt einen Fehler machen, könnte das unser aller Tod bedeuten.«
331
Der Knochenreiter starrte ihn an. Er sagte nichts, aber der Blick seiner dunklen, leeren Augenhöhlen wurde so bohrend, daß Temser nach einem Moment wieder den Kopf
senkte und einen Schritt zurückwich.
»Ihr habt Angst«, sagte der Knochenreiter schließlich.
Seine Stimme war noch immer so laut wie zuvor, aber sie troff jetzt vor beißendem Hohn. »Aber vielleicht ist es der falsche, vor dem ihr Angst habt. Vielleicht überschätzt ihr die Macht dieses Pfaffen, so wie ihr die Macht der falschen Prediger und der falschen Kirche überschätzt?«
Temser wollte etwas entgegnen, aber der Reiter brachte ihn mit einer zornigen Handbewegung zum Schweigen und wandte sich an die Menge: »Wer war es, der euch geholfen hat? Die falschen Propheten - oder ich? Wer war es, zu dem ihr gekommen seid, um euch vom Joch des Tyrannen zu befreien, der eure Söhne erschlug und eure Töchter stahl, wie es ihm beliebte? Die falschen Prediger - oder ich? Wer garantiert für eure Sicherheit? Die Kirchenfürsten und fetten Mönche, die in ihren Klöstern sitzen und sich die Bäuche vollschlagen - oder ich? Ihr habt gefordert! Ihr habt mich gerufen, und ich bin gekommen! Ihr habt gefordert, was immer ihr brauchtet - jetzt bin ich es, der fordert! Ich habe euch gesagt, wo ihr die findet, die Schuld an eurem Unglück trägt. Jetzt tut, was getan werden muß! Tötet sie und tötet auch den falschen Priester, wenn es sein muß!«
»Aber Herr«, sagte Temser mit einer Stimme, die so von Furcht erfüllt war, daß er sie kaum noch unter Kontrolle hatte, »das ist ... unmöglich. Wenn wir Hand an einen Inquisitor legen, dann -«
Er verstummte mitten im Wort, als ihn ein neuerlicher Blick aus diesen unheimlichen, leeren Augenhöhlen traf.
»Dann?« fragte der Knochenreiter lauernd.
Temser sprach nicht weiter, und der Unheimliche lachte.
»Oh, ihr seid solche Feiglinge«, sagte er abfällig. »Ihr seid bereit, eure Seelen dem Teufel zu verpfänden, wenn ihr glaubt, auch nur den geringsten Vorteil davon zu haben.
Doch wenn ihr etwas tun sollt, und sei es nur die kleinste Kleinigkeit, dann fangt ihr an zu zittern und zu jammern.
332
Aber die Zeit des Nehmens ist vorbei! Heute in einer Woche werde ich zurückkommen und eure Entscheidung verlangen.
Ist die Hexe dann noch am Leben, so wißt ihr, was geschehen wird!«
Tobias hatte genug gehört. Zitternd vor Furcht kroch er ein Stück rücklings von der Grenze des roten Lichtes davon, ehe er es wagte, sich aufzurichten. Geduckt lief er den Erdwall hinauf und ließ sich auf der anderen Seite wieder auf Hände und Knie herabfallen. Dann stürzte er in die Dunkelheit davon.
14
Obwohl die Entfernung nur wenige hundert Schritte betrug, war Tobias völlig außer Atem, als er das Turmhaus
erreichte. Er war gerannt wie nie
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