Wolfgang Hohlbein -
sich Dornen in seiner Kutte, als wollten sie ihn zurückhalten. Für einen Moment mußte er gegen die Vorstellung ankämpfen, daß er im Dornendickicht steckenbleiben würde, doch dann richtete sich Katrin vor ihm auf, drehte sich hastig herum und streckte die Hand aus, um auch ihm auf die Füße zu helfen. Tobias stemmte sich, halb aus eigener Kraft, halb von Katrin gezogen, in die Höhe und sah sich um. Sie befanden sich mitten in einem schier undurchdringlichen Wald. Der Boden war bis auf den letzten Fingerbreit mit knorrigem Geäst, Wurzeln, bleichem, schmierigem Moos und Pilz-gewächsen bedeckt. Der Geruch des fauligen Sees nahm ihm schier
den Atem. Sie mußten dem Wasser recht nahe sein, denn ein grünlich-blauer Schein drang durch die dicht stehenden Bäume.
Ohne auf Katrin zu achten, wandte Tobias sich dem
unheimlichen Lichtschein zu und bahnte sich seinen Weg durch das Unterholz. Er war dem düsteren Geheimnis des Sees jetzt so nahe wie niemals zuvor - er mußte einfach versuchen, herauszufinden, woher dieser unheimliche, grüne Schein kam. Katrin versuchte, ihn zurückzuhalten, aber Tobias streifte ihre Hand ab und kämpfte sich weiter durch das tückische Netz aus Fallstricken und Ranken. Nach ein paar Schritten teilte sich das Unterholz vor ihm, und er sah zum zweiten Mal den toten See im Wald.
Aber wie hatte er sich verändert!
Aus dem übelriechenden, fauligen Tümpel war vollends ein Höllenpfuhl geworden; ein fast lotrecht in die Erde führendes Loch, dessen Wasser schwarz wie geschmolzenes Pech war. Es war auch nicht das Wasser, das diesen unheimlichen grünen Schein von sich gab, sondern die Felsen, die den Kessel säumten. Ein matter, unangenehmer Glanz überzog den rissigen Granit wie eine löcherige Decke. Nur an einer Stelle im Wasser, jedoch ein gutes Stück unter der 342
Oberfläche, war das unheimliche Licht auch im See zu sehen.
»Großer Gott!« flüsterte Tobias. »Was ist das?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Katrin. Sie versuchte, ihn am Arm zu ergreifen und wieder in den Wald zurückzuziehen, aber Tobias schüttelte ihre Hand abermals ab. Er starrte auf den See hinab und versuchte vergeblich, eine logische Erklärung für das zu finden, was er sah. Der Glanz, der den Felsen und sogar einen Teil des Erdreiches rings um den See überzog, war das gleiche, unheimliche Licht, das auch die Knochengesichter der Reiter ausgestrahlt hatten. Es war -
Katrin packte ihn plötzlich so heftig an den Schultern, daß er stolperte und rücklings in einen dornigen Busch fiel.
Blind tastete er um sich, bekam einen etwas kräftigeren Ast zu fassen und zog sich daran wieder in die Höhe. Seine Hände bluteten, und quer über sein Gesicht verlief ein langer, brennender Kratzer. Zornig wandte er sich zu Katrin um.
Sie blickte auf den See hinaus und hatte ihre rechte Hand warnend über die Lippen gehoben. Tobias sah sie einen Moment lang verwirrt an, schaute in die gleiche Richtung wie sie, ohne irgend etwas anderes als den kranken, sterbenden Wald auf dem jenseitigen Ufer zu sehen. Ob er wirklich etwas hörte oder ob er sich die Laute nur einbildete, wußte er nicht - aber nach wenigen Augenblicken gewahrte er eine Bewegung. Die Zweige begannen zu zittern, teilten sich schließlich und spien eine, zwei und am Ende ein halbes Dutzend der hochgewachsenen Gestalten mit den Knochengesichtern aus. Sie trugen ein dunkles, langes Bündel, das offenkundig recht schwer war.
Sanft ergriff Katrin seinen Arm und zog ihn in das
Dickicht zurück. Und diesmal wehrte er sich nicht. Wenn die Unheimlichen sie sahen, wenn sie auch nur argwöhnten, daß sie sich in diesem Wald verbargen und sie beobachteten, dann war es um Katrin und ihn geschehen.
Mit dem grünen Schein im Rücken, der kein Licht spendete, stolperte Tobias hilflos wie ein Kind an Katrins Hand dahin. Sie aber bewegte sich mit traumwandlerischer Sicher-343
heit. Mehr als einmal wich sie einem Hindernis aus, das Tobias nicht einmal gesehen hätte, wenn sie darauf gedeutet hätte. Schließlich blieb sie wieder stehen, ließ seine Hand los und machte sich an einem knorrigen Dornengewächs zu schaffen. Als sie sich wieder aufrichtete, erkannte Tobias einen finsteren, in die Tiefe führenden Schacht.
»Was ist das?« fragte Tobias. Der Anblick dieses schwarzen Loches bereitete ihm Unbehagen. Es mußte das Versteck sein, von dem Katrin gesprochen hatte, die Höhle, deren Zugang niemand finden würde, der nicht ganz genau wußte, wo er danach zu
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