Wolfgang Hohlbein -
hätte.«
»Und doch fürchte ich, daß mir keine andere Wahl bleibt, als genau das zu glauben«, antwortete Pretorius, »nach dem, was ich jetzt von dir gehört habe.«
»Verehrter Pretorius, Ihr kennt mich!« antwortete Tobias.
»Glaubt Ihr denn wirklich, daß ich mich von Hexerei blen-den ließe?«
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»Sicher nicht«, antwortete Pretorius, »doch vielleicht von etwas, das du für die Stimme deines Herzens hältst.«
»Aber Katrin ist . . .«
»Wir wissen, wer sie ist«, unterbrach ihn Pretorius sanft.
Er lächelte traurig. »Sie hat mir alles gesagt, und hätte sie es nicht getan, so hätte ich sie erkannt. Hast du schon vergessen, daß ich es war, der sich um deine Erziehung gekümmert hat? Ich selbst habe damals dafür gesorgt, daß sie mit einer milden Strafe davonkam. Sie hat auch mich getäuscht, so wie dich und alle anderen.«
Tobias begriff erst nach einigen Augenblicken, was diese Worte bedeuteten. »Aber sie ist keine Hexe!« sagte er.
»Wir . . . wir waren Kinder damals, Bruder Pretorius! Wie wußten nicht, was wir taten.«
Abermals glitt dieses milde, traurige Lächeln über Pretorius' greise Züge. »Du warst ein Kind, Tobias. Doch die Wege des Teufels sind verschlungen, und seine Heimtücke unendlich. Manchmal kommt er gerade in der Gestalt dessen, was wir am meisten zu lieben glauben.«
»Aber sie ist keine Hexe!« wiederholte Tobias.
Pretorius sah ihn voller Mitleid an. »Du liebst diese Frau«, sagte er. »Es ändert nichts an dem, was du getan hast, oder daran, daß du dich dafür wirst verantworten müssen. Ist dir klar, daß du dabei bist, dein Leben und dein Seelenheil fort-zuwerfen um ihretwillen?«
»Sie hat nichts verbrochen!« protestierte Tobias. »Was hier geschehen ist, hat nichts mit Hexerei zu tun. Ich bin es, den Ihr bestrafen müßt. Ich habe gesündigt. Ich habe mein Gelübde gebrochen. Sie hat nichts anderes getan, als um ihr Leben zu kämpfen.«
»Du versuchst noch immer, sie zu verteidigen«, sagte Pretorius. »Es ehrt dich, aber es ist auch dumm. Es würde nichts mehr ändern, weder für dich noch für sie, Tobias. Sie hat bereits alles zugegeben.«
Tobias starrte ihn ungläubig an. »Sie hat gestanden?«
»Die Hexe hat ein umfassendes Geständnis abgelegt«, antwortete Stephan an Stelle des Abtes. »Sie hat gestanden, sich mit Zauberei und Schwarzer Magie beschäftigt zu haben.
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Sie hat gestanden, schon in ihrer Kindheit mit dem Teufel gebuhlt zu haben und sich seither in jeder Vollmondnacht mit ihm zu treffen. Sie hat weiter gestanden, den See im Wald nördlich von Buchenfeld mit Zaubersprüchen verdorben zu haben. Sie hat gestanden, das Vieh mehrerer Bauern verhext zu haben und im letzten Jahr die gesamte Ernte.«
»Dann hat sie vermutlich auch zugegeben, daß sie ab und zu auf ihrem Besen über den Himmel reitet, wie?« fügte Tobias höhnisch hinzu. Er ballte wütend die Fäuste. »Seit wann glaubt Ihr an einen solchen Unsinn?«
In Stephans Augen blitzte es ärgerlich auf. Aber er kam nicht dazu, zu antworten, denn wieder hob Pretorius die Hand und sorgte mit einer knappen Geste für Ruhe. Für die Dauer eines Herzschlages sah er Tobias mit durchdringen-dem Blick an, dann wandte er sich wieder den Wachen vor der Tür zu: »Bringt die Angeklagte herein!«
Tobias konnte ein erschrockenes Aufstöhnen nicht verhindern. Er hatte im Grunde noch gar nicht richtig begriffen, daß es in diesem Prozeß nicht um ihn ging. Er war nur Zeuge; ein Zeuge, der selbst schwere Schuld auf sich geladen hatte. Angeklagt aber war Katrin. Und er begriff mit einem plötzlichen neuen Schrecken, daß es nicht sein Leben gewesen war, um das er während der letzten Stunde geredet hatte, sondern ihres.
Der Wächter kam nach wenigen Augenblicken zurück, und als Tobias Katrin sah, da vergaß er für einen Moment alles und spürte nur Wut und Verzweiflung. Die zehn Tage, die er in der Finsternis des Kerkers zugebracht hatte, waren auch an ihr nicht spurlos vorübergegangen. Aber während er sich erholt und neue Kräfte gesammelt hatte, wirkte Katrin verdreckt und fast so erschöpft, wie er sie im Turm gefunden hatte. Sie trug noch immer das gleiche Kleid, das sie während ihrer Flucht angehabt hatte, aber jetzt war es zerrissen und von großen, dunklen Flecken bedeckt, die nichts anderes als ihr eigenes, eingetrocknetes Blut sein konnten. Ihr Haar hing strähnig und schmutzig herab. Ihre rechte Hand war in einen blutdurch-tränkten Verband gewickelt, und sie hatte Mühe, sich
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