Wolfgang Hohlbein -
aber anders als Bresser wich der Graf nicht zurück, sondern trat auf den Tisch zu und deutete anklagend auf Tobias. »Er hatte niemals vor, sie der kirchlichen oder auch der weltlichen Gerechtigkeit zu übergeben«, sagte er. »Habt Ihr bereits vergessen, was er vor einigen Augenblicken selbst zugegeben hat? Daß es sein Plan war, sie freizusprechen? Er hat nie nach Indizien für ihre Schuld gesucht, sondern wollte stets ihre Unschuld beweisen.«
»Das mag sein«, antwortete Pretorius gelassen. »Doch auch das ist die Aufgabe eines Inquisitors, Graf. Schuldige und Unschuldige ohne Unterschied zu verurteilen hieße Böses zu tun, statt das Böse zu bekämpfen.« Er machte eine entschiedene Handbewegung, mit der er Theowulf daran hinderte, weiterzusprechen, und wandte sich erneut an Tobias.
»Ihr seid also gemeinsam aus der Stadt geflohen? Wohin?«
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»Zu . . . dem See im Wald«, gestand Tobias zögernd.
»Katrin kannte ein Versteck dort, in dem wir die Nacht verbringen wollten.«
»Warum?« fragte Stephan. »Ihr hattet einen guten Vorsprung. Ihr hättet ihn nutzen können, um euch in Sicherheit zu bringen.«
»Ich wußte nicht, ob sie unsere Flucht schon bemerkt hatten«, erwiderte Tobias. »Wenn sie uns mit Pferden oder gar Hunden gejagt hätten, wären wir nicht sehr weit gekommen.
Die Nähe dieses Tümpels mit seinem fürchterlichen Gestank schien mir der einzige Ort, an dem wir vor den Hunden sicher wären. Ich hoffte, daß sein Pesthauch unsere Fährte überdecken würde.«
»Was er ja wohl auch getan hat«, sagte Pretorius. »Was geschah dort am See?«
»Wir fanden die Höhle«, entgegnete Tobias. »Aber vorher sah ich die Männer mit den Knochenlarven wieder. Die falschen Dämonen«, fügte er mit einem haßerfüllten Blick in Theowulfs Richtung hinzu, »die sich von den Menschen in dieser Stadt anbeten lassen. Sie trugen etwas, das sich später als die Leiche einer Frau herausstellte.«
Theowulf gab ein abfälliges Geräusch von sich, und wieder hob Pretorius rasch und warnend die Hand. »Nicht so schnell«, sagte er, »wir waren bei der Höhle. Was geschah dort? Ihr habt die Nacht darin verbracht?«
»Das haben wir«, gestand Tobias und verschwieg auch nicht, was dort geschehen war. Ein Gefühl der Scham erfüllte ihn, gleichzeitig aber die Gewißheit, daß er, während er sein Gelübde brach, doch nur auf die Stimme in seinem Herzen gehört hatte.
Pretorius hörte all dies mit steinernem Gesicht, ohne ein Wort zu äußern. Hin und wieder gab er mit einer Geste zu verstehen, daß Tobias weitersprechen sollte.
Als Tobias zum Ende gekommen war, wurde es still in dem großen, halbdunklen Raum. Tobias war erschöpft.
Seine Kehle brannte, und sein Gaumen war so trocken, daß er kaum noch reden konnte. Er hatte über eine Stunde gesprochen.
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Schließlich seufzte Pretorius tief. Auch er sah erschöpft aus. Der Ausdruck von Trauer in seinen Augen war nicht gewichen, er hatte sich eher noch verstärkt.
»Das ist die ganze, wahre Geschichte?« fragte er nach einer Weile.
Tobias nickte müde. »Alles, was ich erzählen kann«, sagte er. »Doch fragt Katrin, welche Rolle Graf Theowulf in dieser Stadt wirklich spielt. Und wenn Ihr ihr nicht glaubt, dann geht zu seiner Burg und fragt den Jungen der toten Frau. Falls er ihn nicht auch umgebracht hat.«
Theowulfs Miene verriet keinerlei Regung. Er hörte
Tobias' Worte, als gingen sie ihn nichts an, als sei er ein unbeteiligter Beobachter in diesem sonderbaren Prozeß.
»Du gestehst also, daß du der Hexe in dieser Nacht zur Flucht verholfen hast? Du gestehst, daß du dich mit ihr der Sünde der fleischlichen Liebe hingegeben hast? Und du gestehst, daß sie einen Mann getötet hat, der versuchte, euch an der Flucht zu hindern?« faßte Pretorius seine Aussage schließlich zusammen.
»Aus den Gründen, die ich Euch erklärt habe«, antwortete Tobias.
»Ihr seht, ehrwürdiger Abt, es ist genau so, wie ich es sagte«, rief Theowulf plötzlich. »Sie hat ihn verzaubert.«
Tobias fühlte, wie sein Magen sich zusammenzog. »Aber das . . . das ist . . .«
Pretorius unterbrach ihn mit einer Handbewegung. »Ich weiß, was du sagen willst, Tobias. Aber ich fürchte, Graf Theowulf hat recht. Das bist nicht du, der da zu mir redet.«
»Pretorius, ich bitte Euch!« Tobias fuhr auf. »Ich weiß nicht, was er Euch erzählt hat, aber glaubt mir, ich war niemals klarer bei Verstand. Es ist lächerlich zu behaupten, daß irgend jemand meine Sinne verwirrt
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