Wolfgang Hohlbein -
Bresser. »Aber niemand will in diesem Gemäuer leben. Ihr vielleicht, Vater?«
Tobias schüttelte fast erschrocken den Kopf, und Bresser fuhr nach einem flüchtigen Lächeln fort: »Es ist zu groß. Im Winter kann man es nicht heizen, und es wird niemals richtig Tag hier drinnen. Und die meisten Leute fürchten sich vor der ewigen Dunkelheit hinter diesen Mauern. Theowulf nächtigt lieber bei mir als in diesem Haus.«
Tobias verstand den Grafen. Ihm selbst erginge es ja nicht anders. »Die meisten Leute?« wiederholte er. »Ihr nicht?«
Bresser lächelte. »Nein. Ich gehöre nicht zu diesem abergläubischen Volk. Wenn Ihr mich fragt, ich glaube nicht an Geister und Dämonen, die in alten Gemäuern herumspuken.
Das ist auch der Grund«, fügte er mit hörbarem Stolz hinzu,
»aus dem der Graf mich zu Verkolts Nachfolger ernannt hat.«
Ja, dachte Tobias. Das und der Umstand, daß du ein Narr bist, mein Freund. Mit einer Spur genau berechneten Spotts in der Stimme antwortete er: »Ihr glaubt nicht an Geister, aber an Hexen? Wie geht das zusammen?«
Für einen Moment blitzte die alte Feindseligkeit wieder in Bressers Augen auf. »Sehr gut, Vater«, antwortete er überheblich. »Seht Ihr, ich sehe das so: Sicher gibt es einen Teufel, so, wie es einen Gott gibt, denn schließlich hat Gott den Teufel erschaffen, um den Menschen schwerste Prüfungen aufzuerlegen. Doch dann ist der Teufel immer mächtiger geworden, er drängte das Gute immer weiter zurück und wurde ein Fürst der Hölle, der sogar Jesus Christus, den Messias, in Versuchung führen konnte.«
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Tobias starrte ihn an. Er verbot sich eine zornige Erwide-rung, die ihm auf der Zunge lag, und machte nur eine Geste zu Bresser, fortzufahren.
»Ich glaube nicht an Geister, aber Hexen sind keine Geister, oder? Sie sind Menschen, die sich in verbotenen Künsten auskennen. All dieses Gerede von Dämonen und Gei-stern dient doch nur dem einzigen Zweck, uns von der wahren Macht des Bösen abzulenken.« Bressers Blick wurde lauernd, und Tobias ahnte, daß er besser daran tat, sich nicht auf eine theologische Diskussion einzulassen; nicht mit diesem Trottel und schon gar nicht an diesem Ort.
Trotzdem antwortete er nach kurzen Zögern: »Ihr glaubt, daß der Teufel ebenso mächtig ist wie unser Gott?«
»Mit Verlaub, Herr. Wäre unser Christengott soviel mächtiger als Luzifer und seine Höllenbrut, würde das Böse nur einen kümmerlichen Schatten auf unser Dasein werfen.
Aber die Erde ist ein Jammertal, und die Allmacht Gottes, den Sieg über den Teufel gibt es nur im Himmelreich.«
Das war Häresie. Doch Bresser hob rasch die Hand und fuhr in fast entschuldigendem Ton fort: »Verzeiht, wenn ich mich vielleicht nicht so geschliffen ausdrücke, wie es ein Mann wie Ihr gewohnt sein mag, ehrwürdiger Vater. Natürlich zweifle ich nicht an der Liebe Gottes. Er will uns schwache Menschen retten, aber das Böse ist stark und waltet in allen Dingen.«
Ein einfacher Mann? dachte Tobias. Das war die geschliffene Spitzzüngigkeit eines Ketzers, Worte wie giftige Schlangen. Er war völlig verwirrt, solch eine finstere Botschaft aus dem Munde dieses Mannes zu hören; eines Mannes, den er vor einem Augenblick noch für einen Tor gehalten hatte -
und der es wahrscheinlich auch war.
»Ich bin Euch nicht böse«, log er. »Im Gegenteil. Es ist ...
eine interessante, wenn auch recht finstere Theorie. Wir sollten bei Gelegenheit darüber diskutieren.« Und wer weiß, fügte er in Gedanken hinzu, vielleicht gibt es dann in Buchenfeld doch noch Arbeit für die Inquisition. Aber anders, als du dir träumen läßt, du Narr.
»Jederzeit«, antwortete Bresser. Seine Stimme klang ein 61
wenig triumphierend. Vielleicht glaubte er tatsächlich, sein Gegenüber bereits in das Netz seines wirren Gedankenge-spinstes verwickelt zu haben. »Wir werden viel Zeit haben zu reden. Die Abende hier sind lang, und . . .«
Schritte von der Treppe her unterbrachen Bresser. Tobias blinzelte in die staubige Dämmerung und erkannte Maria, Bressers Frau, die mit kleinen Schritten und gesenkten Schultern auf sie zukam. Waren ihre Bewegungen auch vorhin schon so angstvoll gewesen? überlegte er. Oder spürte sie wie er den unheimlichen Odem dieses Ortes?
Bresser ging ihr entgegen und streckte die Hand aus, wor-aufhin sie ihm einen Schlüssel überreichte. Während sich Bresser daran machte, das Schloß zu öffnen, versuchte Tobias Maria anzusehen. Sie wich seinem Blick aus, und plötzlich glaubte
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