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Wolfgang Hohlbein -

Wolfgang Hohlbein -

Titel: Wolfgang Hohlbein - Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Inquisito
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konnte noch immer nicht richtig sehen, aber es war jetzt nur noch der Schmerz, der sein Sehvermögen beeinträchtigte.
    55
    Pater Tobias gestattete sich noch einige weitere Augenblicke, in denen er reglos verharrte und mit der Schwäche seines eigenen Körpers rang, ehe er sich mit einem lauten Stöhnen aufrichtete und seinen Arm aus Bressers Griff löste.
    »Nichts«, sagte er. »Es ist nichts. Danke.«
    Bresser blickte ihn zweifelnd an. Plötzlich war es vollkommen still. Als Tobias sich umwandte, sah er, daß die zerlumpten Kinder in der Gasse ihn ebenfalls anstarrten; mit einer Mischung aus Neugier und Schrecken.
    Mit einer hastigen Bewegung drehte er sich wieder zu Bresser um. »Es ist nichts«, sagte er noch einmal. »Mein Kopf schmerzt. Ich . . . bin wohl aus dem Alter heraus, in dem ich mich mit kleinen Jungen prügeln sollte.«
    Er lächelte matt, und Bresser erwiderte dieses Lächeln pflichtschuldig. Aber der Dicke blieb trotzdem ernst. »Hört auf mich und legt Euch eine Stunde hin«, sagte er. »Ich schicke jemanden zum Schloß. Der Graf hat eine Magd, die sich ein wenig auf die Heilkunst versteht. Es wäre besser, wenn sie sich die Wunde ansieht.«
    »Das ist nur ein Kratzer.«
    »Manchmal ist das, was man nicht sieht, schlimmer«, antwortete Bresser ernst. Tobias glaubte zu spüren, daß aus diesen Worten wirklich die Sorge um seine Gesundheit sprach; und nicht etwa der Gedanke, ihn doch noch vom Betreten des Turmes abzuhalten. Aber er fühlte sich auch wirklich bereits besser. Vielleicht war er einfach völlig erschöpft von der Reise. Möglicherweise setzte ihm auch der bestialische Gestank mehr zu, als er gedacht hatte.
    Er widerstand im letzten Moment dem Impuls, den Kopf zu schütteln. »Später«, sagte er. »Jetzt will ich mir erst diese Hexe ansehen.«
    Bresser seufzte. Aber er widersetzte sich nicht mehr, sondern schüttelte nur stumm den Kopf und ging vor Tobias her zu dem benachbarten Haus.
    Tobias betrachtete das sonderbare Gemäuer aufmerksam, während er sich ihm näherte. Es verlor auch jetzt nichts von seiner unheimlichen Ausstrahlung - es war ganz eindeutig älter als alle anderen Häuser in Buchenfeld. Vermutlich war 56
    die Stadt im Laufe der Jahrzehnte allmählich um dieses Gemäuer gewachsen, fast als wäre es ein Gotteshaus. Tobias konnte sich allerdings beim besten Willen niemanden vorstellen, der seine Hütte freiwillig in der Nähe dieses Gebäudes errichtete. Der klobige, gedrungene Turm bot keinen Schutz.
    Er strahlte eine finstere Macht aus. Die Zinnen des Turmes glichen zerbrochenen Hexenzähnen; die Fenster waren spitz und klein; keines davon breit genug, auch nur einen schlank gewachsenen Menschen einzulassen - trotzdem war jedes einzelne mit einem massiven eisernen Kreuz gesichert. Das Dach war klobig und der First mit sonderbar eckigen Schin-deln gedeckt, wie Tobias sie noch nie zuvor gesehen hatte. Es sah aus wie der Rückenkamm eines Drachen.
    Seine Schritte wurden immer langsamer, während er Bresser folgte. Dafür schlug sein Herz rascher. Selbst die Tür dieses Gebäudes flößte ihm Unbehagen ein. Sie war breit, aber sehr niedrig und massiv. Zu beiden Seiten befanden sich schmale Fenster, eigentlich nur Schießscharten, kaum breit genug, um eine Hand hindurchzustecken.
    Und dann, endlich, begriff er, was dieses Gebäude wirklich war.
    Eine Festung.
    Tobias war verwirrt. Das Land wimmelte von Festungen und Burgen, und manche, die er selbst gesehen hatte, waren nicht viel größer gewesen als dieses Turmhaus - aber wer baute mitten in einem öden kargen Landstrich eine Festung?
    Bresser hatte die Tür geöffnet (übrigens ohne einen Schlüssel zu benötigen; so massiv die Tür war, gab es kein Schloß an ihr, sondern nur einen massiven Riegel) und war stehengeblieben, und Tobias schritt ein wenig schneller aus, um nicht zurückzubleiben.
    Im Innern war es so kühl, wie er erwartet hatte, aber überraschend hell. Das gesamte Untergeschoß bestand aus einem einzigen, großen Raum mit kleinen, aber sehr zahlreichen Fenstern, deren Licht den Saal in ein Gitter aus scharf abge-grenzten Hell- und Dunkelbereichen verwandelte. Er hatte eine ähnliche Kargheit wie in Bressers Haus erwartet, statt dessen war der Saal mit sauberen, schwarzen und weißen 57
    Fliesen gepflastert. Vor einem mächtigen Kamin an der Süd-wand thronte eine Eichentafel, die Platz für mindestens fünfzig Personen bot, an der allerdings nur ein halbes Dutzend Stühle standen. Rechts und links des

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