Wolfgang Hohlbein -
haben: Ihre Haut, die mit einem Netzwerk aus winzigen Wassertröpfchen bedeckt war, schimmerte wie Seide, und ihr Gesicht schien zu glühen. Ihr Anblick erregte ihn, und er schämte sich dafür, denn noch immer dröhnten die Worte des Bettelmönchs in seinem Kopf.
»Warum hast du das getan, du Dummkopf?« fragte sie, nachdem sie ihr Haar vollends trockengerieben hatte und das Kleid achtlos zu Boden warf. »Jetzt sieh dir an, wie er aussieht! Du hast seinen Kopf zu Brei zerschlagen. Ekelig.«
Aber ihre Stimme klang nicht ärgerlich oder angewidert, 77
sondern eher spöttisch, und das Blitzen in ihren Augen war . . .
Tobias wußte es nicht. Er wußte nur, daß es ihm nicht gefiel. Rasch wandte er den Blick und sah wieder auf den toten Fisch herab. Katrin hatte recht - vom Kopf des Fisches war nur ein blutiger Brei übriggeblieben. Er stand auf, schleuderte den Stein ins Wasser und ging dann selbst zum See zurück, um seine Hände zu säubern.
Er hörte, wie Katrin ihm folgte, und einen Augenblick später sah er ihr Spiegelbild im Wasser neben sich. Aber er sagte kein Wort, sondern wusch sich übermäßig lange und ausgiebig die Hände und richtete sich dann auf, noch immer, ohne sie anzusehen. Was nur war mit Katrin geschehen?
Als er zum Ufer zurückgehen wollte, streckte Katrin die Hand aus und hielt ihn fest. Ein unheimlicher Glanz lag in ihren Augen, als er sie ansah. Sie lächelte, aber auf eine Art, wie sie es noch nie getan hatte.
Unsicher streifte er ihren Arm ab, erwiderte ihr Lächeln sehr flüchtig und rannte fast zum Ufer zurück. Katrin lachte.
Aber sie versuchte nicht, ihn noch einmal festzuhalten, sondern folgte ihm nur und sah schweigend zu, wie er sich daran machte, den Angelhaken zu lösen. Danach waren seine Finger so besudelt, daß er zum zweiten Mal zum Wasser gehen mußte, um sich zu waschen.
»Gibst du mir ein Stück?« fragte Katrin, als er zurückkam.
Tobias sah sie fragend an.
»Von deinem Fisch«, erklärte sie. »Ich habe Hunger.«
Tobias zögerte. Er hatte vorgehabt, den Fisch mit nach Hause zu nehmen, denn er war groß genug, ein Abendessen für die ganze Familie abzugeben. Aber vielleicht hätte er dann auch erklären müssen, warum er das arme Tier so zugerichtet hatte. So zuckte er mit den Schultern und nickte gleichzeitig.
»Er gehört dir genauso«, sagte er. »Wir haben ihn zusammen gefangen.«
Er brach den Fisch auf, löste ein Stück des weißen Fleisches von den Gräten und sah zu, wie Katrin davon abbiß.
Sie sah ihn auffordernd an, aber er war kein bißchen hung-78
rig. Ganz im Gegenteil - er war sicher, daß er von diesem Fisch keinen Bissen herunterbekommen würde, ganz egal, wie groß sein Hunger auch sein mochte.
Katrin jedenfalls schien solche Hemmungen nicht zu kennen. Sie aß schnell, fast gierig, als wäre sie ausgehungert und nicht erst ein paar Stunden vergangen, seit sie zusammen mit Tobias' Familie ein ausgiebiges Mittagsmahl eingenommen hatte.
Als sie fertig war, legte Tobias den Fisch auf einen flachen Stein am Ufer (er nahm sich fest vor, ihn dort zu vergessen, wenn sie sich auf den Heimweg machten) und warf einen Blick in den Himmel hinauf. Die Sonne war bereits hinter den Bäumen verschwunden.
»Wonach suchst du?« fragte Katrin.
»Es ist nicht mehr viel Zeit«, antwortete Tobias. »Wir . . .
sollten uns bald auf den Heimweg machen.«
»Sicher.« Katrin lächelte, ging an ihm vorbei und setzte sich ins weiche Moos am Waldrand. »Aber laß uns noch ein wenig bleiben. Es ist so schön heute abend.«
Tobias widersprach nicht, sondern setzte sich nach kurzem Zögern neben sie. Er wußte selbst nicht, warum er plötzlich keine Lust mehr hatte, hier zu sein. Es bestand kein Grund zur Eile - es war Sommer und wenn er an die Szene dachte, die sich auf dem Marktplatz abgespielt hatte, dann hatte er eigentlich keinen Grund, besonders früh nach Hause zu kommen. Vermutlich hatte sein Vater von dem Zwischen-fall mit dem Bettelmönch gehört und würde ihm Vorhaltungen machen.
Als hätte sie seine Gedanken gelesen, sagte Katrin plötzlich: »Glaubst du, daß er verrückt ist?«
»Wer?«
»Der Wanderprediger.« Katrin hob den Kopf, blickte in den Himmel und lehnte sich gegen seine Schulter. »Ich meine, so wie er geredet hat . . . Hast du seine Augen gesehen?«
Tobias' Miene wurde starr. »Was war damit?«
»Sie waren böse«, antwortete Katrin. »Ich habe niemals solche Augen gesehen. Ich glaube, er ist wahnsinnig.« Sie 79
drückte sich an ihn,
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