Wolfgang Hohlbein -
Dunkle Schleier wogten vor seinen Augen.
»Ihr Verdammten!« brüllte eine Stimme, die ihm schrecklich bekannt vorkam. »Kinder des Teufels! Ihr wagt es, hier herumzuhuren und Gott dem Herrn ins Gesicht zu speien?!«
Tobias versuchte sich hochzustemmen, aber es ging nicht.
In seinen Armen war keine Kraft mehr. Blut floß ihm aus dem Mund, und er wurde fast verrückt vor Schmerzen. Wie durch einen dichten Nebel hindurch sah er eine riesenhafte, dunkle Gestalt, die wie ein Dämon aus der Nacht erschienen war und sich drohend über Katrin beugte. Das Mädchen wimmerte vor Angst, krümmte sich und hob schützend den rechten Arm über das Gesicht, während sie mit dem anderen ihre Brüste zu bedecken versuchte.
»Hure!« brüllte der Bettelmönch. »Das Feuer der Hölle komme über dich! Ihr frevelt Gott! Ihr wagt es, mir unter die Augen zu treten und eurer widerwärtigen Lust zu frönen!« Er beugte sich vor, riß Katrin brutal an den Haaren in die Höhe und versetzte ihr mit der anderen Hand eine schallende Ohr-feige, die ihren Kopf gegen einen Baum prallen ließ. Katrin schrie und sackte zusammen, aber der Priester riß sie sofort wieder in die Höhe und holte zu einem weiteren Schlag aus.
»Laß sie in Ruhe!«
Tobias schien wie durch Zauberei auf die Füße zu kommen. Er fühlte die Bewegung kaum, aber sie war so schnell und kraftvoll, daß er den Wanderprediger erreichte und ihm in den Arm fiel, noch ehe er ein zweites Mal zuschlagen konnte.
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Sein ungestümer Angriff ließ den Mann taumeln. Er ließ Katrin los, die wimmernd in sich zusammensank, versuchte, Tobias abzuschütteln, und begann schließlich mit der freien, zur Faust geballten Hand auf ihn einzuschlagen.
Tobias nahm zwei, drei der harten Schläge hin, ehe seine Kraft erschöpft war. Mit einem Schmerzlaut ließ er den Arm des Mannes fahren und brach in die Knie.
Der Bettelmönch trat nach ihm. Die Bewegung war zu
schnell und schlecht gezielt, so daß er nicht das Gesicht des Jungen traf, sondern nur seine Schulter streifte.
Tobias wurde übel. Der Prediger brüllte von Hölle und Verdammnis, aber der Junge verstand die Worte nicht mehr; seine Schultern und sein Kopf schmerzten unerträglich von den Schlägen, die er eingesteckt hatte, und das einzige, was er denken konnte, war die absurde Frage, wieso er noch nicht das Bewußtsein verloren hatte oder gestorben war.
Dann hörte er Katrin schreien, und der Laut riß ihn wieder in die Wirklichkeit zurück. Stöhnend stemmte er sich auf die Ellbogen hoch, wischte sich mit dem Handrücken das Blut aus dem Gesicht und versuchte, etwas zu erkennen.
Alles, was er sah, waren zwei ungleiche Schatten, der eine dunkel und groß, der andere hell und klein, die miteinander rangen. Katrin schrie wie von Sinnen.
Seine Hände fuhren über den Boden und fanden einen
Stock. Er umklammerte ihn, sprang auf und stürzte sich noch einmal auf den Bettelmönch. Mit der Kraft der Verzweiflung packte er ihn, riß ihn von Katrin weg und schlug mit seinem Stock zu. Ein gellender Schrei erklang. Tobias riß seinen Stock zurück, fühlte einen sonderbar weichen Widerstand, und dann wiederholte sich der Schrei, so voller unsagbarer Qual, daß auch Tobias erschrocken aufschrie und einen Schritt zurückwich.
Der Wanderprediger war nach hinten getaumelt. Er hatte die Hände vor das Gesicht geschlagen und schrie; es waren solch schreckliche Laute, wie Tobias sie bisher nur aus den Kehlen von Tieren gehört hatte, die das Messer des Schlach-ters fühlten. Zwischen den Fingern des Mannes quoll rotes, zähes Blut hervor.
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Verwirrt blickte Tobias an sich herab. Er stand breitbeinig da, hatte sich schützend vor Katrin aufgebaut und hielt den Stock in beiden Händen. Nur daß der Stock kein Stock war, sondern seine Angelrute.
Und dann nahm der Bettelmönch die Hände herunter, und nun brach auch aus Tobias ein wilder, unbändiger Schrei hervor.
Der Mönch hatte keine Augen mehr, sondern nur noch
zwei fürchterliche, blutende Wunden.
Auch Katrin schrie auf und verbarg entsetzt das Gesicht zwischen den Händen. Tobias taumelte zurück und ließ die blutbesudelte Angelrute fallen. Der Bettelmönch kreischte wie von Sinnen; seine Stimmbänder mußten zerreißen. Taumelnd und blindlings um sich schlagend wankte er an Tobias vorüber, so dicht, daß er ihn fast gestreift hätte, prallte gegen einen Baum und stürzte. Er begann wie ein Besessener zu toben. Sein Fäuste hämmerten gegen den Boden, rissen Moos und Wurzeln heraus
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