Wolfgang Hohlbein -
flammenden Worten auf ihn ein, wie es zuvor der Prediger getan hatte.
Tobias rannte weiter, lief zwischen die letzten Häuser des Dorfes auf den Wald zu. Schließlich blieb er stehen, und Katrin riß sich los. Sie war völlig außer Atem, und auch Tobias' Herz schlug schnell und hart. Ängstlich sah er sich um, registrierte erleichtert, daß sie nicht verfolgt wurden.
Katrin schien keinerlei Angst vor einer Verfolgung zu haben. Ihr Gesicht war rot vor Anstrengung, und ihr Haar hing in verschwitzten Strähnen in ihrer Stirn. Der Blick, mit dem sie ihn maß, war eisig.
»Das war knapp«, sagte Tobias. »Ich dachte schon, der Kerl würde uns was tun? Ob er verrückt ist?«
Katrins Blick blieb so kühl, wie er war, aber gleichzeitig las Tobias einen Zorn darin, den er nicht verstand. Als sie an ihm vorbeiging, hob er die Hand, aber sie wich ihm mit einer geschickten Bewegung aus und funkelte ihn an.
»Du wolltest es ihm sagen«, sagte sie.
Tobias verstand nicht einmal, was sie meinte. »Was?«
Aber Katrin erklärte ihre Worte nicht, sondern warf nur mit einem Ruck den Kopf in den Nacken und eilte an ihm vorbei. Tobias sah ihr einen Moment lang irritiert nach, ehe 73
er ihr folgte. Er versuchte sie einzuholen, aber als er auf zwei Schritte heran war, begann sie zu laufen.
Tobias gab auf. Sie wollte nicht mit ihm sprechen.
Dabei blieb es, bis sie den See erreichten, der eine knappe halbe Stunde vom Dorf entfernt lag: Sie redete nicht mit ihm, und sie sah ihn nicht einmal an, sondern eilte die ganze Zeit über zwei Schritte vor ihm her.
Der See war im Grunde gar kein See, sondern nur eine flache Schüssel aus hartem Fels. Nur in seiner Mitte gab es eine Stelle, an der man wirklich schwimmen konnte. Aber er lag mitten im Wald, weit genug vom Dorf entfernt, und, was fast noch wichtiger war, es war ein verrufener Ort. Die Leute mieden ihn. Der Wald war an dieser Stelle besonders dicht und unzugänglich, und man erzählte sich düstere Geschichten über diesen See. Es hieß, daß vor Jahren einmal eine Frau ihr Kind hier ertränkt haben sollte und seither ein Fluch über diesem Ort lastete. Auch Tobias hatte ihn lange Zeit gemieden.
Katrin kannte solche Vorbehalte nicht. Sie hatte Tobias eines Tages ganz selbstverständlich hierher geführt; im Grunde war er ihr damals nur gefolgt, um nicht als Feigling vor ihr dazustehen. Aber nach und nach hatte er begriffen, daß an all den Geschichten und düsteren Legenden um diesen Ort nichts wahr war. Im Gegenteil, der Ort strahlte eine ganz eigene Art von Frieden aus.
Außerdem gab es hier Fische, die niemals zuvor die
Tücken eines Angelhakens kennengelernt hatte. Er hatte es sich daher zur Angewohnheit gemacht, stets ein Stück Angelschnur und einen Haken mitzuführen, so daß er fast immer einen Fisch mit nach Hause brachte, den seine Mutter dann briet, ohne neugierige Fragen über die Herkunft dieses unverhofften Geschenks zu stellen.
Und natürlich waren Katrin und er hier völlig ungestört.
Sie war es gewesen, die ihm diesen Ort gezeigt hatte, und ganz gewiß nicht nur, um ihm eine Stelle zum Fischen zu verraten.
Um so überraschter war Tobias, daß sie heute hierher gingen. Er verstand den Grund ihres Zornes noch immer nicht ganz, aber sie war zornig, so wütend wie nie zuvor.
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Als sie das Ufer erreichten, lief Katrin ohne innezuhalten in den See hinaus und streifte mit einer raschen Bewegung ihr Kleid über den Kopf. Tobias fing es auf, als sie es achtlos hinter sich warf, hielt es einen Moment unschlüssig in der Hand und sah ihr zu, wie sie nackt weiterlief und schließlich mit einer eleganten Bewegung ins Wasser eintauchte. Einen Moment lang überlegte er, ihr zu folgen. Doch er tat es nicht, sondern legte ihr Kleid unter einen Busch, wo sie es finden mußte, wenn sie aus dem Wasser kam. Dann ging er wieder ein paar Schritte in den Wald zurück und suchte nach einer günstigen Stelle, um nach Würmern zu graben. Eine Weile später hatte er drei fette Regenwürmer gefunden, die er auf das trockene Eichenblatt legen konnte, das er zu diesem Zweck bereitgelegt hatte. Einer kroch ihm davon, bis er die Angelschnur aus der Tasche gezogen und die Knoten ent-wirrt hatte. Den zweiten spießte er sorgfältig auf den eisernen Angelhaken, wo er sich wand und zappelte wie ein armer Sünder in den Flammen des Fegefeuers, den dritten wickelte er in das Eichenblatt und steckte ihn sorgsam in die Tasche, in der er die Angelschnur gehabt hatte.
Der Stock, den er als Rute
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