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Wolfgang Hohlbein -

Wolfgang Hohlbein -

Titel: Wolfgang Hohlbein - Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Inquisito
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und schleuderten sie davon, während er immer noch schrie und schrie.
    Tobias stand wie gelähmt da. Er schrie nicht mehr; er atmete nicht einmal mehr, sondern starrte nur dieses verwü-
    stete Gesicht an, die fürchterlichen Wunden, die er dem Mann geschlagen hatte. Er hatte einen Menschen verstümmelt, ihm das Kostbarste genommen, was er außer seinem Seelenheil besaß: sein Augenlicht.
    Aber er hatte es doch nicht gewollt!
    Er wollte schreien. Er wollte zu ihm eilen und ihn packen und schütteln, wollte ihm sagen, daß es ein schrecklicher Unfall gewesen war, aber er konnte es nicht. Seine Glieder gehorchten ihm nicht mehr. Er hatte seinen Körper miß-
    braucht, um zu töten, und er hatte damit sein Recht ver-spielt, Gehorsam von ihm zu verlangen.
    Der Bettelmönch kam schreiend wieder auf die Füße. Sein Gesicht war über und über mit Blut bedeckt, Blut tränkte seine Kutte, Blut besudelte den Boden, auf dem er gelegen hatte, Blut färbte seine Fäuste rot, mit denen er blind um sich schlug. Kreischend wankte er auf den See zu und stürzte, als sein Fuß auf den nassen Steinen am Grunde des 84
    Wassers ausglitt. Tobias vernahm das schreckliche Ge-räusch, mit dem sein Schädel auf einem Stein aufschlug. Es ging durch Mark und Bein und konnte nur eines bedeuten: Tod.
    Tobias rührte sich nicht. Wie gelähmt starrte er auf die schlanke Gestalt in der dunklen Kutte, unter deren Kopf sich das Wasser in rosa Schlieren zu färben begann.
    Später - selbst als man den Leichnam untersucht und zweifelsfrei festgestellt hatte, daß er an dem eingeschlagenen Schädel gestorben und nicht ertrunken war, selbst als ebenso zweifelsfrei festgestellt wurde, daß es sich bei allem wirklich nur um einen entsetzlichen Unfall gehandelt hatte - selbst dann marterte Tobias sich mit Vorwürfen. Er hätte ihn nicht retten können; aber was er sich zeit seines Lebens niemals verzieh, war der Umstand, daß er es nicht einmal versucht hatte.
    Tobias stand einfach da und preßte Katrin an sich, und gemeinsam warteten sie, bis die Bewegungen des Sterbenden schwächer wurden und dann ganz aufhörten.

4
    Tobias wagte nicht die todgeweihte Katrin in sein Zimmer zu bringen, wie er es eigentlich vorgehabt hatte. Sie war zu schwach und mußte daher an Ort und Stelle versorgt werden. Bresser war irgendwann gegangen - wahrscheinlich, um geradewegs zum Grafen zu laufen und sich dort über die Eigenmächtigkeit des sonderbaren Inquisitors zu beschweren
    -, aber seine Frau war geblieben, und obwohl sie kaum ein Wort gesagt und auch auf Tobias' Fragen nur so einsilbig geantwortet hatte, half sie ihm doch nach Kräften, sich um die Todkranke zu kümmern. Wenn Tobias ehrlich war, dann war sehr viel mehr sie es, die sich um Katrins Wunden kümmerte, den Schmutz von ihrer Haut wusch und immer wieder ihren Kopf anhob, um ihr behutsam winzige Schlucke 85
    eiskalten Wasser einzuflößen. Der Versuch, sie mit kleinen Stücken in Milch aufgeweichten Brotes zu füttern, endete damit, daß Katrin sich qualvoll erbrach. Tobias war bis in den Abend hinein nicht sicher, das sie den Tag überleben würde.
    Er wußte nicht, wie er reagieren würde, wenn sie starb. Er weigerte sich einfach, diese Möglichkeit zu akzeptieren, obwohl sie doch so nahelag. Wie es schien, hatte ein grausames Schicksal ihn Katrin nach fast siebzehn Jahren wiederfin-den lassen, nur damit er Zeuge ihres qualvollen Todes wurde.
    Oder ihr Henker.
    Denn eigentlich war er nach Buchenfeld gekommen, um seines Amtes als Inquisitor zu walten. Er sollte die Indizien sichten, die Interrogatio durchführen und dann im Namen des Herrn sein Urteil fällen. Seine Aufgabe lautete: Trieb eine Hexe ihr Unwesen in Buchenfeld oder nicht?
    Eine Hexe namens Katrin.
    Aber all diese nüchternen Überlegungen schob er schnell beiseite. Um seine heilige Pflicht als Inquisitor würde er sich kümmern, wenn die Zeit dazu gekommen war - und Katrin diesen Tag überlebte.
    Aber das Wunder, um das er betete wie niemals um etwas zuvor in seinem Leben, geschah: Sie überlebte den Tag; als sich der Abend herabsenkte, hatte sich ihr Zustand ein wenig gebessert. Das Fieber war gesunken, ihre Haut war noch immer heiß, aber sie glühte jetzt nicht mehr wie unter einem inneren Feuer, das sie verzehrte, und auch ihr Herzschlag beruhigte sich ein wenig. Vielleicht hatte sie eine Chance. Vielleicht.
    Schließlich wagten sie es, sie aus dem Turm zu bringen.
    Maria hatte Decken und einen warmen Wollmantel
    beschafft, in die sie die

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