Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wolfgang Hohlbein -

Wolfgang Hohlbein -

Titel: Wolfgang Hohlbein - Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Inquisito
Vom Netzwerk:
zitternde Gestalt einwickelten, und die Angst gab Tobias die Kraft, sie zu tragen, aber sie war auch kaum mehr als ein abgemagertes Skelett, über das sich fieberverbrannte Haut spannte und das aus irgendeinem Grund noch lebte.
    Tobias brachte sie in das Zimmer, das Bresser ihm selbst zugewiesen hatte, legte sie auf das Bett und setzte sich selbst 86
    auf den unbequemen Sessel daneben. Dann schärfte er Maria ein, niemanden zu ihnen zu lassen, nicht einmal ihren Mann oder den Grafen. Sie versprach, es zumindest zu versuchen, und das war eigentlich schon mehr, als er erwarten konnte. Tobias war sich darüber im klaren, was er der Frau antat, indem er sie zwang, ihm zu helfen. Wenn schon nicht den Zorn des Grafen, so würde sie sich zumindest den Unwillen ihres Mannes zuziehen, und sie würde teuer für diese Hilfe bezahlen, spätestens in dem Moment, in dem Tobias die Stadt wieder verließ. Aber nicht einmal diese Erkenntnis vermochte die Mauer aus Zorn und hilfloser Verzweiflung zu durchdringen, die sich um sein Denken aufgebaut hatte.
    Es gab nur noch Katrin.
    Er hatte nur Augen für sie, und gleich, woran er zu denken versuchte, welche Fragen ihn auch beschäftigten - seine Gedanken kehrten immer zu ihr zurück. Er hatte nicht geglaubt, sie jemals wiederzusehen; ja, er hatte in den letzten siebzehn Jahren seines Lebens jeden Gedanken an sie vertrie-ben, schon um sich den Schmerz zu ersparen, der ihn begleitete. Er schlief nicht in dieser Nacht, sondern saß Stunde um Stunde auf dem Schemel neben dem Bett, hielt ihre Hand und wechselte manchmal die feuchten Tücher aus, die Maria auf ihre Beine und ihre Stirn gelegt hatte.
    Er erlebte alles noch einmal - jede Stunde, die sie zusam-mengewesen waren, bis zum furchtbaren Ende. Letztendlich war genau das geschehen, was Katrin an jenem Abend im Wald vorausgesagt hatte: Sie hatten sie weggeschickt. Und sie hatten ihr weit schlimmere Dinge angetan.
    Als der Morgen graute, glitt Katrin von fiebergeschüttelter Bewußtlosigkeit hinüber in einen sehr tiefen, ruhigen Schlaf, und seine Erfahrung im Umgang mit Kranken sagte ihm, daß nun weitere Stunden vergehen würden, ehe sie
    erwachte. Trotzdem blieb er neben ihrem Bett sitzen, bis es draußen vollkommen hell geworden war. Dann erhob er sich und verließ mit müden Schritten das Zimmer.
    Im Haus war es nicht mehr still. Aus dem unteren
    Geschoß drangen die Stimmen Bressers und seiner Frau her-87
    auf, die zu streiten schienen. Er fühlte erst jetzt, wie erschöpft er war. Sein Rücken schmerzte, seine Augen brannten, und in seinem Mund klebte ein schlechter Geschmack. Er wankte ein wenig, als er die Treppe hinunterging, und für einen Moment wünschte er sich weit weg, in den sonnigen Rosengarten seines Klosters in Lübeck. Mitunter verfluchte er sein Amt, und der Zweifel an Gott und der Welt nagte an ihm.
    Bresser und seine Frau hielten sich in der Stube auf, in der er gestern gegessen hatte. Die Tür stand einen Spaltbreit offen, so daß Tobias sehen konnte, daß die beiden tatsächlich stritten; zu seiner Überraschung wehrte sich Maria nach Kräften. Er verstand die Worte nicht, denn er war viel zu müde, um sich darauf zu konzentrieren. Mit hängenden Schultern schlurfte er weiter, stieß die Tür mit gespreizten Fingern auf und nickte Maria grüßend zu, als sie mitten im Wort innehielt und sich zu ihm herumdrehte.
    »Guten Morgen, Vater«, sagte sie. »Wie geht es ihr?«
    Tobias lächelte flüchtig. »Gut«, sagte er. »Ich glaube, sie wird es überleben.«
    Bressers Gesicht verfinsterte sich bei diesen Worten noch mehr, aber er enthielt sich jeden Kommentars, sondern blickte Tobias nur ärgerlich an und drehte sich dann zum Fenster. Draußen liefen Gestalten auf und ab, die im grellen Licht der Morgensonne zu unheimlichen Schatten zu gerin-nen schienen.
    Tobias verscheuchte den Gedanken, ging zum Tisch und ließ sich erschöpft auf die harte Bank fallen. Er stützte die Ellbogen auf die Tischplatte, verbarg für einen Moment das Gesicht in den Händen und fuhr sich müde mit den Fingern über die Augen. Sie brannten, als hätte jemand Säure hinein-gegossen. Er verstand selbst nicht genau, warum er so müde war. Es war längst nicht die erste Nacht, in der er auf Schlaf verzichtete. Aber er fühlte sich, als hätte er eine Woche nicht geschlafen.
    »Legt Euch hin, Pater«, sagte Maria. »Ihr müßt todmüde sein. Ich bereite Euch unser Bett.«
    Tobias nahm die Hände herunter, lächelte dankbar und 88
    schüttelte

Weitere Kostenlose Bücher