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Wolfgang Hohlbein -

Wolfgang Hohlbein -

Titel: Wolfgang Hohlbein - Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Inquisito
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erbleichte und wich einen halben Schritt zurück.
    So ruhig, wie er konnte, sagte er: »Hexen werden verbrannt, das stimmt, Bresser. Wenn sie Hexen sind. Wenn zweifelsfrei erwiesen ist, daß sie mit dem Teufel im Bunde stehen. Wenn ihnen der Prozeß gemacht und alles Für und Wider abgewogen worden ist und der zuständige Inquisitor zu dem Schluß gekommen ist, daß sie wirklich schuldig sind. Ich bin hier, um diese Untersuchung zu führen. Ich kann nicht über eine Tote richten, oder?«
    »Nein, Pater«, sagte Bresser steif. »Verzeiht. Ich habe gedacht -«
    »Geht und schickt den Boten los«, unterbrach ihn Tobias eisig. »Und haltet Euch zu meiner Verfügung. Sobald ich gegessen und mich ein wenig ausgeruht habe, möchte ich mit einigen Leuten reden.«
    Bresser starrte ihn noch einen Herzschlag lang mit kaum verhohlenem Haß an, aber er sagte kein Wort mehr, sondern ging, und Tobias blieb allein zurück.
    Müdigkeit schlug wie eine Woge über ihm zusammen; es war eine sonderbare Müdigkeit, die nicht zum Schlaf führen würde, wenn er sich ihr hingab. Die Verlockung, die Stirn 91
    auf die Arme sinken zu lassen und wenigstens für einen Moment die Augen zu schließen, war groß. Gleichzeitig hatte er fast Angst davor, denn er fühlte, daß jenseits der Dunkelheit hinter seinen Augenlidern noch etwas lauerte: eine Finsternis tiefer als jede mondlose Nacht.
    Was waren das für Gedanken? Wirklich seine eigenen?
    Tobias richtete sich erschrocken auf. Sein Herz klopfte, und seine Augenlider waren verklebt; voller Schrecken begriff er, daß er doch geschlafen hatte, wenn auch vielleicht nur Augenblicke. Und etwas . . . hatte sich verändert.
    Dann begriff er: Bresser hatte das Fenster nicht geschlossen, als er hinausgegangen war. Die schattenhaften Gestalten, die vorhin auf der Straße auf und ab gelaufen waren, standen jetzt still - und blickten ihn durch das geöffnete Fenster an.
    Es waren drei, große, unheimliche Gestalten, deren Schat-tenaugen auf ihn gerichtet waren. Er fühlte es, als hätten ihre Blicke einen klebrigen Abdruck auf seiner Haut hinterlassen. Allein das Wissen, daß er - und sei es nur für wenige Augenblicke - hilflos dagesessen und ihren düsteren Blicken ausgeliefert gewesen war, verstärkte das Gefühl des Unbehagens in ihm.
    Tobias verscheuchte den Gedanken, richtete sich auf und nickte den Gestalten draußen zu. Einen Augenblick lang reagierten sie nicht, dann wandten sie sich um - einer nach dem anderen und auf eine Art, die fast wie eine Zeremonie wirkte - und gingen davon. Seltsam, dachte Tobias. Und unheimlich.
    Er rief sich in Gedanken zur Ordnung. Die Situation war schwierig genug, auch ohne daß er anfing, Gespenster zu sehen. Er mußte einen klaren Kopf behalten. Aber dieser Entschluß mochte rascher gefaßt als in die Tat umgesetzt sein. Zu viel war geschehen in den wenigen Stunden, die er jetzt hier in diesem unheimlichen Buchenfeld war.
    Seine Vergangenheit hatte ihn eingeholt; sie hatte alles, was zwischen jenem furchtbaren Tag vor siebzehn Jahren und gestern lag, mit einer einzigen beiläufigen Bewegung fortgewischt. Was mochte sein Gott und Schöpfer mit ihm 92
    vorhaben? Welchen sonderbaren Weg führte er ihn? Tobias versuchte seine Gedanken in einem Gebet zu sammeln, aber schon nach wenigen Worten spürte er, wie seine Gedanken abglitten. Dieser Ort verwirrte ihn, ein Ort ohne Kirche; sein Kloster und der Bischof waren weit. Doch dann dachte er daran, was die Märtyrer erlebt haben mußten, auf die sich die Steine der Heiden richteten, und daran, daß Gott der Wahrheit immer einen Weg bahnen würde.
    Endlich kam Maria und brachte das Essen. Ohne ein
    Dankgebet zu sprechen, machte er sich darüber her und verzehrte alles bis auf den letzten Rest. Er aß in Ruhe. Er hatte es nicht sehr eilig, mit den Leuten hier zu reden. Vielleicht war es besser, wenn er zuerst mit dem Grafen sprach und dann mit seinen Untertanen.
    Plötzlich stand Bresser in der Tür. Mit einem raschen Blick überzeugte der Dicke sich davon, daß Tobias seine Mahlzeit beendet hatte, dann deutete er mit einer äußerst knappen Kopfbewegung hinter sich. »Ich habe getan, was Ihr befohlen habt, Herr. Ich habe einen Jungen mit einer dringenden Botschaft nach Lüneburg geschickt. Aber ich kann nicht versprechen, daß er vor Einbruch der Dunkelheit zurück ist. Der Weg ist weit, und die Sonne ist bereits vor zwei Stunden aufgegangen.«
    Tobias ersparte sich eine Antwort. Er hatte wenig Lust, sich schon wieder mit

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