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Wolfgang Hohlbein -

Wolfgang Hohlbein -

Titel: Wolfgang Hohlbein - Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Inquisito
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Zügen ins Heilige Land, als Gottfried von Bouillon Jerusalem befreien wollte, und dann wünschte sich Tobias für einen Moment, in einer anderen aufregenderen Zeit geboren zu sein.
    Eine Handbewegung Bressers riß ihn aus seinen Gedanken. Dann sah er zerrissene, scharfkantige Felsen vor sich, 95
    die wie die buckeligen Skelette riesiger Drachentiere aus dem Boden ragten. Doch der Wald hatte auch diese Felsenburg erobert, aus den Fugen wuchsen kleine Bäume und Pflanzen.
    Die Steinwälle waren überwuchert. Wieder einmal hatte die Natur den Sieg über Menschenwerk davongetragen. Sie kamen auch kaum noch voran, weil das Unterholz immer dichter wurde, wie eine Mauer aus Dornen, hinter der ein Geheimnis verborgen lag. Doch selbst durch dieses Dickicht drang dieser höllische Gestank, der jetzt wieder stärker wurde.
    Tobias sah Bresser fragend an, erntete aber nur ein Achselzucken und sagte nichts. Als sie sich dem Wald bis auf zwanzig oder dreißig Schritte genähert hatten, sah der Dominikaner, daß es eine Bresche im Unterholz gab: Ein schmaler Pfad war durch den Wald geschlagen worden, auf den Bresser mit schnellen Schritten zuhielt.
    Der Tag blieb hinter ihnen zurück. Es wurde nicht völlig dunkel, aber die Kronen der uralten Bäume über ihren Köpfen waren doch so dicht, daß sie das Sonnenlicht zu einem grüngrauen Schimmer dämpften. Ihre Umgebung erinnerte Tobias auf unangenehme Weise an jene Lichtung im Wald, auf der er den Hexenkreis gefunden hatte. Die Vorstellung, daß hier seit vielleicht einem Jahrhundert das Licht Gottes nicht mehr wirklich geschienen hatte, ließ ihn schaudern. Er hatte das Gefühl, in eine Welt einzudringen, in der Menschen nichts zu suchen hatten. Vielleicht war dieser bestialische Gestank eine Warnung, nicht weiterzugehen.
    Plötzlich blieb Bresser stehen und wandte sich doch zu ihm um. Er sagte kein Wort, sondern machte nur eine deu-tende Handbewegung - aber Tobias sah auch fast sofort, was er ihm zeigen wollte.
    Nur einen knappen Schritt vor Bresser endete der Weg wie abgeschnitten und stürzte in die Tiefe.
    Unter ihnen lag der Pfuhl.
    Frierend vor Entsetzen trat Tobias neben Bresser und sah hinunter.
    Es war ein nahezu kreisrunder, gut zwanzig Schritte messender Kessel aus demselben geborstenen Felsgestein, aus 96
    dem der Grund dieses ganzen Waldstückes bestand. Vor Urzeiten mochte es ein kleiner gewöhnlicher See gewesen sein, doch jetzt war es nichts anderes als ein Höllenloch: eine stinkende, grünlich schillernde Brühe, die mit einer Schicht aus verfaultem Laub und braunen Algengewächsen bedeckt war. Obwohl der See keinen sichtbaren Zu- oder Ablauf hatte, kräuselten sich dann und wann kleine Wellen auf ihm, und jedes Mal stieg ein neuer Schwall dieses übelkeiterregen-den Gestanks auf. Selbst die Felsen schienen dort, wo sie bis zum Wasser hinabreichten, in Fäulnis übergegangen zu sein.
    Grünbraune Algengewächse waren wie Spinnennetze an den Rändern des steinernen Kessels emporgewachsen; es gehörte nicht viel Phantasie dazu, sich die widerwärtigsten Geschöpfe vorzustellen, die unter der Oberfläche dieses Modertümpels vegetieren mochten.
    Tobias verharrte eine ganze Weile reglos und starrte auf die schmierige Brühe herab. Es war nicht der erste tote See, den er sah - aber er konnte sich nicht erinnern, jemals etwas Widerwärtigeres erblickt zu haben. Es war wie ein Stück Hölle auf Erden.
    »Heiliger Dominikus, was ist hier geschehen?« flüsterte er und wandte die Augen gen Himmel. Seine Frage war eigentlich nicht an Bresser gerichtet, dennoch antwortete der dicke Mann.
    »Das war die Hexe.« Tobias fuhr herum. Er verlor durch die überhastete Bewegung auf dem glitschigen Stein fast den Halt und mußte sich an einem Ast festklammern, um sein Gleichgewicht wiederzufinden.
    »Was redet Ihr da?«
    »Die Wahrheit, Pater«, antwortete Bresser ruhig. In seiner Stimme klang Trotz, aber auch eine Überzeugung, die Tobias erschreckte. »Das ist das Werk der Hexe. Und das ist nicht alles, was sie getan hat, aber vielleicht das schlimmste.
    Deshalb habe ich Euch vorher nichts gesagt. Ich wollte, daß Ihr es mit eigenen Augen seht.«
    Tobias schwieg. Er wußte nicht, was er sagen sollte. Bressers Worte klangen völlig verrückt, aber offenbar war er vollkommen von ihrer Wahrheit überzeugt.
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    »Es war ein ganz normaler See, bis zum letzten Sommer«, fuhr Bresser fort. »Das Wasser war nie sehr gut. Es roch, und es schmeckte bitter, so daß nicht einmal die Tiere

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