Wolfgang Hohlbein -
davon tranken. Aber es war Wasser.« Er legte eine winzige Pause ein, um seine Worte wirken zu lassen. »Dann im letzten Jahr begann sie in den Wald zu gehen. Sie ging oft hierher, und immer nachts. Manchmal hörte man . . . Laute.«
»Laute?«
Bresser zuckte mit den Schultern. »Geräusche eben.
Unheimliche Geräusche. Schreie, aber nicht die von Tieren.
Und Lichter.«
»Habt Ihr das gesehen?« fragte Tobias. »Oder selbst gehört?«
»Ich nicht«, antwortete Bresser. »Aber andere. Sie werden es Euch bestätigen, wenn Ihr fragt. Und als die Hexe begann, hierher zu gehen, da begann das Wasser zu faulen. Und schließlich wurde es zu dem, was es jetzt ist.« Er verzog angeekelt das Gesicht. »Im letzten Winter ist ein Schaf aus dem Stall ausgebrochen und hatte sich hierher verirrt. Es ist hineingefallen. Es konnte sich befreien, und es fand sogar wieder nach Hause. Aber am nächsten Morgen war es tot. Braucht Ihr noch mehr Beweise, daß sie wirklich eine Hexe ist?«
Tobias schwieg. Bressers Worte erschütterten ihn nicht -
der Mann war ein Narr, und selbst wenn Katrin hierher gekommen war, war das lange noch kein Beweis, daß sie irgend etwas mit der furchtbaren Verwandlung dieses Sees zu tun hatte. Im Gegenteil konnte sich Tobias einfach nichts vorstellen, was ein Mensch zu tun imstande war, um aus einem ganz normalen See diese Kloake zu machen: Was ihn jedoch in Schrecken versetzte, war der Anblick des Sees an sich. Das Gewässer war vergiftet. Selbst die Bäume, die rund um den Felsenkegel wuchsen, waren bereits krank. Sie würden sterben, noch ehe ein Jahr vorüber war. Vielleicht würde dieser ganze Wald sterben.
Er wollte sich umwenden, um Bresser eine weitere Frage zu stellen, als er eine Bewegung am jenseitigen Ufer wahrzunehmen glaubte. Neugierig sah er genauer hin - und unterdrückte im letzten Moment einen Schrei.
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Zwischen den Bäumen stand der Tod.
Für einen winzigen Moment hatte Pater Tobias ihn deutlich vor Augen, eine hoch aufgerichtete, massige Gestalt, in schwarze Lumpen gekleidet und eine Sense in der rechten Hand, auf deren Stiel er sich stützte. Sein Gesicht war bleich, eine weiße Maske aus schimmernden Knochen, hinter deren leeren Augenhöhlen es unheimlich glitzerte, die Nase ein tiefes Loch und der Mund darunter ein klaffender Spalt.
Dann, im nächsten Augenblick, verschwand die Gestalt.
Nicht einmal ein Blatt rührte sich dort, wo das Unterholz sie verschluckt hatte.
Tobias schlug erschrocken das Kreuzzeichen und flüsterte den Namen Jesu Christ. Bresser sah ihn irritiert an.
»Was habt Ihr?«
»Nichts«, antwortete Tobias hastig. »Ich dachte, ich . . .
hätte eine Bewegung gesehen . . . jemanden . . . etwas . . .
aber das . . . das ist unmöglich.«
Seine Stimme schwankte und klang selbst in seinen eigenen Ohren schrill. Seine Gedanken überschlugen sich. Es war der Tod gewesen, den er dort drüben gesehen hatte, daran gab es gar keinen Zweifel. Der Schwarze Schnitter hatte dagestanden und ihn angeblickt, nicht Bresser, nicht den Wald, nicht den Pfuhl, sondern ihn. War er gekommen, um Sühne zu fordern? Hatte er ihm Katrin nur gezeigt, um ihm zu sagen, daß seine Zeit nun abgelaufen war?
»Etwas?« wiederholte Bresser stirnrunzelnd. »Vielleicht ein Tier?« Er schrak zusammen. »Es gibt Wölfe in den Wäldern. Sie kommen selten heraus und eigentlich niemals hierher, aber vielleicht ist es -«
»Kein Wolf«, unterbrach ihn Tobias. »Es war kein Tier.«
»Aber was dann?«
»Nichts«, sagte Tobias. »Vielleicht . . . habe ich mich getäuscht. Dieser . . . dieser Gestank verwirrt mir die Sinne.« Mit einem Ruck wandte er sich um und machte eine Geste den Weg hinunter. »Laßt uns gehen. Ich habe genug gesehen.«
Bresser blickte ihn noch einen Moment lang zweifelnd an, 99
zuckte aber dann nur mit den Schultern und trat beiseite, um ihn vorbeizulassen.
Und hinter seiner Gestalt wuchs eine zweite, größere empor, schimmerndes Weiß unter schwarzen Fetzen, in deren Hand rasiermesserscharfer Stahl blitzte, der -
Tobias erkannte seinen Irrtum einen winzigen Augenblick bevor er vollends die Beherrschung verlieren und einfach losschreien konnte.
Die Gestalt hinter Bresser war nicht der Tod. Sie war nicht in schwarze Lumpen gekleidet, sondern trug einen knöchel-langen dunklen Umhang und darunter wollene Hosen, Stie-fel und ein mattes Kettenhemd. Das Weiß über ihrem
Gesicht war nicht die Farbe toter Knochen, sondern die Farbe einer sonderbar geformten Mütze, und der
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