Wolfgang Hohlbein -
herein.«
Bressers Frau schlüpfte ins Zimmer und schob die Tür hinter sich wieder zu. Sie trug eine Kerze in der Hand, die sie aber nicht angezündet hatte. Tobias konnte ihr Gesicht in der Dunkelheit nicht erkennen, aber er sah, wie sie erst ihn, dann Katrin und dann wieder ihn ansah und schließlich den Kopf schüttelte.
»Was habt Ihr vor?« fragte sie. »Euch umbringen?«
»Was meint Ihr damit?«
»Ich meine«, antwortete Maria, »daß Ihr schon gestern nacht nicht geschlafen habt. Und auch jetzt nicht.«
»Doch, das habe ich«, widersprach Tobias, aber Maria ließ ihn nicht einmal ausreden, sondern machte nur eine ärgerliche Kopfbewegung.
»Im Sitzen, und auf diesem Folterstuhl, ja. Das ist kein Schlaf. Ihr seid vielleicht ein Heiliger, Tobias, aber Ihr seid auch ein Mensch. Ich werde den Rest der Nacht an ihrem Bett wachen. Ihr geht hinunter und legt Euch in mein Bett.
Ihr werdet gründlich ausschlafen.«
»Und Euer Mann?« Tobias versuchte, scherzhaft zu klingen, obwohl er eigentlich zu müde für einen Scherz war. »Er wird nicht erbaut sein, wenn er sich über seine Frau beugt, um ihr einen Morgenkuß zu geben, und mich findet.«
»Bresser küßt mich schon seit Jahren nicht mehr, dem Herrn sei Dank dafür«, antwortete Maria. »Und außerdem ist er nicht da. Macht Euch keine Sorgen.«
»Er ist nicht da?«
»Er ist zum Schloß gegangen, nachdem Ihr zurückgekommen seid. Ihr könnt also unbesorgt sein. Wir sind völlig allein im Haus. Ich kann so gut auf sie aufpassen wie Ihr -
im Moment wahrscheinlich sogar besser. Ich falle nämlich nicht gleich vom Stuhl vor Müdigkeit.«
Tobias widersprach nicht mehr. Maria hatte ja recht. Es fiel ihm selbst jetzt schwer, aufrecht sitzenzubleiben. Und Katrin schlief sehr ruhig. Ihr Atem ging gleichmäßig, und das Fieber war weiter gesunken. Er nickte, stand unsicher auf und schlurfte mit hängenden Schultern an Maria vorbei.
»Es ist die Tür gleich unten neben der Treppe«, sagte sie.
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»Ich habe ein neues Laken aufs Bett gelegt. Macht es Euch bequem.«
»Ich danke Euch«, sagte Tobias matt. »Ihr weckt mich, sobald die Sonne aufgegangen ist?«
»Sicher. Und ich rufe Euch auch, wenn sie wach wird.
Aber das wird nicht geschehen.«
Tobias warf einen letzten, zärtlichen Blick auf die schlafende Gestalt, dann verließ er das Zimmer und schlurfte die Treppe hinunter. Erst als er unten angekommen war, fiel ihm ein, daß er ja auch Maria nach diesem Licht hätte fragen können. Aber jetzt noch einmal zurückzugehen erschien ihm einfach zu mühsam. Und ebensogut konnte er diese Frage am nächsten Morgen stellen. Er fand das Schlafzimmer, legte sich auf das Bett und schlief ein, noch ehe er auch nur die Decke über sich gezogen hatte.
Er erwachte am nächsten Morgen nicht mit dem ersten Hahnenschrei, wie er es gewohnt war, sondern durch die stickige Wärme, die sich im Zimmer breitgemacht hatte. Er fühlte sich so ausgeruht und frisch, daß ihm gleich klar war, daß es weit nach Sonnenaufgang war. Maria hatte ihn gegen ihr Versprechen schlafen lassen - aber er nahm ihr diese kleine Schummelei nicht übel. Im Grunde war sie vernünftiger gewesen als er. Er half niemandem - und Katrin am allerwenigsten -, wenn er sich zugrunde richtete.
Ohne sonderliche Hast schwang er die Beine vom Bett, richtete sich auf und blieb noch einen Moment auf der Bettkante sitzen. Sein Blick wanderte durch das Zimmer. Es war recht ärmlich eingerichtet: dieses eine Bett, eine Truhe, in der Bressers und Marias Kleider liegen mochten, und ein schmales Tischchen, auf dem eine Kanne mit Wasser und eine Schüssel aus Ton standen. Tobias lächelte, als er sah, daß das Wasser frisch war. Maria hatte es vorsorglich für ihn bereitgestellt, ohne ihn zu wecken. Die Wände waren kahl, aber es gab ein paar helle Flecken, wo bis vor kurzer Zeit Bilder gehangen haben mußten, und ein einfaches Kruzifix, das an einem Nagel über dem Kopfende des Bettes hing. Irgend etwas an dem Kreuz war sonderbar.
Es dauerte eine ganze Weile, bis diese Erkenntnis vollends 140
in Tobias' Bewußtsein gedrungen war. Erst als er sich bereits über die Wasserschüssel gebeugt und damit begonnen hatte, sich zu waschen, fiel es ihm ein. Verwirrt sah er auf, blinzelte sich das Wasser aus den Augen und besah sich das Kruzifix noch einmal.
Es war ein ganz normales Kruzifix. Nichts daran war ungewöhnlich.
Nicht an ihm. Wohl aber an seinem Umriß.
Das Kreuz hatte einen hellen Fleck auf der Wand hinterlassen,
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