Wolfs Brut: Kommissar Kilians zweiter Fall
St. Johann Baptist gelangte er, ohne auf Sicherheitsleute zu stoßen. Von den beiden fehlte jedoch jede Spur. Er schaute sich um, wo sie geblieben sein könnten, als ihm aus dem Burggraben Wachpersonal entgegenkam. Kilian musste den Weg zurückgehen, den er gekommen war, um nicht geradewegs abgeführt zu werden. Erklärungen hätten ihn viel zu viel wertvolle Zeit gekostet.
Auf seinem Rückweg schaute Kilian, wo sich Thomas und der humpelnde Otter versteckt haben konnten. Acht Meter über ihm lag der Fürstengarten. Es war die einzige Möglichkeit, wohin sich Thomas hätte retten können. Allerdings gab es nur zwei Wege dorthin, sofern er nicht den Wachleuten in die Arme gelaufen war. Der eine war, die Mauer emporzusteigen, und der zweite, über das Scherenbergtor ins Innere der Burg und von dort in den Fürstengarten zu gelangen.
Kilian entschied sich für die Besteigung der Mauer. Als er seinen Fuß in die breite Fuge setzte, hörte er die Wachleute näher kommen. Es war zu spät. Noch bevor er den ersten Meter überwunden hätte, wären sie hinter ihm gestanden. Er brach den Versuch ab und folgte der Mauer Richtung Scherenbergtor.
Als er auf Höhe des Tores angekommen war, sah er, wie Pferde über die Brücke geführt wurden. Die Brücke verband den inneren Burghof mit der Echter’schen Vorburg und der dort befindlichen Pferdeschwemme auf einer Höhe von mehr als zehn Metern. Der ohrenbetäubende Lärm, der zu ihm herunterdrang, ließ ihn rätseln, ob dort eine Armee ihre Pferde versorgte oder ob ein riesiger Markt abgehalten wurde. Doch weitaus quälender war die Frage, was da gerade aus dem so genannten Halsgraben, der die Burg umschloss, auf ihn zugerannt kam. Alles, was er erkennen konnte, war eine schnelle Bewegung. Er wartete nicht, bis die Antwort ihn erreicht hatte, sondern nahm die Treppe, die hinauf auf die Brücke führte.
Er hatte die Klinke der Verbindungstür bereits in der Hand und drückte sie herunter, als ein stechender Schmerz seinen Knöchel durchfuhr. Kilian schrie auf und zog sein Bein mitsamt dem Dobermann nach. Wieder betätigte er die Klinke, doch die Tür ließ sich nicht öffnen. Sie blieb fest verschlossen. Der Hund drohte ihm den Fuß durchzubeißen, wenn er ihn nicht sofort abschütteln konnte. Zudem erhielt der Dobermann Unterstützung von zwei heraneilenden Kameraden. Er biss die Zähne zusammen, schwang sein Bein und klatschte die Töle gegen den massiven Steinaufgang. Sein eigener Schrei vermischte sich mit dem Hufgetrappel über ihm. Der Hund kullerte die Treppe hinunter und blieb regungslos liegen. Seine beiden Gefährten beschnüffelten ihn und schmeckten das Blut, das aus seinem Maul floss. Sie fletschten knurrend die Zähne und machten sich bereit zu vollenden, was ihr toter Genosse nicht geschafft hatte.
Kilian blickte sich um, ob es eine andere Fluchtmöglichkeit gab. Seine einzige Chance war ein offenes Fenster in der Brücke, das sich zwei Meter weiter auftat. Er stieg auf den Handlauf, stieß sich mit aller Kraft ab und ergriff den Fensterholm. Baumelnd hangelte er sich hoch und verschwand darin. Gerade rechtzeitig. Er hörte, wie ein Wachmann herangelaufen kam und die Treppe hochlief. Ein Schlüssel öffnete die Tür, und der Mann verschwand auf der Brücke.
Das von außen einfallende Licht zeigte Kilian, dass er in einer Hohlbrücke gelandet war. Der Raum, in dem er sich befand, führte Heizungsrohre an der Decke und mündete in einen anderen. Mühsam stellte er sich auf die Beine und trat hinein. Die Rohre führten ihn bis zu einem Gitter, das ihm den Weg versperrte. Er griff in die Stäbe und rüttelte daran. Doch sie hielten stand. Über dem Gitter war vormals ein Eisenstab in die Decke getrieben worden, der jetzt nach innen verbogen war. Ein schmaler Durchschlupf war es, der ihn hoffen ließ. Er setzte den Fuß in den Querriegel und stemmte sich ab. Dann griff er durch die enge Wölbung und zog seinen Körper nach. Ungelenk stürzte er jenseits des Gitters zu Boden und verlor die Besinnung.
11
Der Nebel kroch von Heidingsfeld herauf und nahm Besitz von den mainnahen Vierteln. Wie in eine Wolke gehüllt, verschwanden Gebäude, Autos und die Straßenbeleuchtung in einer dumpfen Erinnerung. Wer in dieser Nacht nicht unbedingt vor die Tür musste, blieb besser zu Hause. Nicht nur der unwirtlichen Wetterverhältnisse wegen, es war schlicht und einfach zu gefährlich, die Straße zu überqueren, da weder Passanten noch Autofahrer einen Durchblick hatten, was und
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