Wolfs Brut: Kommissar Kilians zweiter Fall
Ritters und hielt in der Hand einen Morgenstern fest umklammert. »Wenn vo denne ener da reiguckt, dann kriecht er ens übergebrennt, dass er die Sternli sieht. So einfach ist des. Also, vorwärts.«
Julia und ein Gefangener tippelten derweil im Gänsemarsch auf den Wachmann zu.
»Du auch Asül?«, fragte er sie schüchtern.
Der junge Mann brauchte keine Schwärze im Gesicht, sondern war durch seine dunkle Hautfarbe bestens für den Gefangenenaufmarsch vorbereitet.
»Ich? Nein, ich bin nur wegen eines Mannes hier«, antwortete sie ruhig.
»Oh, du auch«, antwortete er erfreut. »Dann du doch Asül. Wir alle hier wegen Mann.«
»Nein, du verstehst mich nicht. Ich will einen Freund treffen, den ich schon lange nicht mehr gesehen habe. Ich habe geglaubt, dass er tot sei, aber …«
»Freund tot? Nix gut. Lebend Mann besser. Ich Mann. Guter Mann. Du wollen heiraten? Ich schenken viele kleine Kinder, du geben mir Pass. Gut Geschäft.«
Der Wachmann unterbrach die beiden und tastete Julia ab. Dann befahl er die Öffnung ihres Koffers.
»Wozu brauchen Sie diese Kleidungsstücke«, fragte er ungläubig.
Bevor Julia antworten konnte, kam ihr der junge Mann zu Hilfe. »Frau sein Priester, Voodoo. Du versteh’n? Wichtig für Zauber sein Verkleidung.«
Der Wachmann schaute ungläubig. »Sind Sie vielleicht die Garderobiere?«, fragte er sie.
Julia zögerte erneut mit der Antwort.
»Gardobiär. Großer Zauber«, sagte der Schwarze.
»Wieso sagen’s des nicht gleich?«, raunzte der Wachmann und schob sie weiter. »Der Nächste. Hände hoch.«
Julia nahm ihren Koffer und ging durch das Tor in den Vorhof. Renate und Pierre, der Regisseur des Burgschauspiels, kamen an ihr vorbeigestürmt.
»Renate«, sagte er pikiert und blätterte im Drehbuch, »ich hoffe, deine Gefangenen halten, was du mir versprochen hast. Ich kann mir heute Abend keinen Fehler erlauben. Halb Europa sitzt auf den Rängen und schaut zu. Und das bei meiner Aufführung. Verstehst du? Bei meiner Aufführung.«
»Beruhige dich, Pierre. Bessere Gefangene als die kriegst du nirgendwo. Glaub’s mir.«
»Das will ich für dich hoffen. Wenn’s schief geht, ist deine Karriere als Regieassistentin vorüber. Das ist keine Drohung, aber so sind nun mal die Spielregeln. Du verstehst, ma chère?«
Er klappte das Drehbuch zu und ging zum Tor.
»Ma-was?«, fragte Renate.
Der Großteil der Gefangenen war bereits abgefertigt und wartete am Tor darauf, dass sie abgeholt wurden. Aus ihren dunklen Gesichtern blitzten weiße Augen, und sie tuschelten in fremden Zungen. Pierre musterte sie, ob sie seinen Vorstellungen als Gefangenen entsprachen. Er nahm einen bei den Schultern, drehte ihn um, dann wieder zurück, und nahm sich den Nächsten vor.
»Nicht schlecht, Frollein Renate«, lobte er sie. »Genau solche habe ich gebraucht. Unterernährt, dreckig und stinkend. Exzellent. Aber die sind doch nicht aus deinem Schifferheim …«
»Ich hab’s dir doch gesacht …«
»Diese Authentizität«, schwärmte Pierre, als er einen ganz besonders mageren jungen Gefangenen vor sich hatte. Unter den Fetzen, die seinen Körper verhüllten, war er mit zahlreichen Narben bedeckt. Pierre strich vorsichtig mit dem Finger über eine Wunde.
»Exzellent. Man könnte fast meinen, sie wäre echt«, begeisterte er sich zunehmend. Einen Makel hatte der junge Mann dann doch. »Aber die Zähne … Viel zu gepflegt. Das müssen wir noch ändern.« Er griff in die Hosentasche und holte eine Dose mit Theaterschminke hervor. Er bestrich den Finger damit und putzte dem Jungen die Zähne schwarz.
»So müsste es gehen«, sagte er zufrieden und ließ sich die nun scheinbar verfaulten Zähne zeigen.
Am Tor kam Tumult auf. Heinlein weigerte sich, den Karren zu verlassen und ihn nach Waffen untersuchen zu lassen. Die zwei Wachmänner forderten Verstärkung an. Pierre erkannte die Situation und rannte hinzu.
»Was ist hier los?«, wollte er von den beiden wissen.
»Der Mann will sich nicht überprüfen lassen«, antwortete einer.
»Und? Wieso wollen Sie nicht?«, fragte Pierre Heinlein.
»Weil … weil ich mir net vo denna zwee Batzis an die Wasch geh’ lass«, antwortete Heinlein trotzig. »Die solle sich was schäm.«
»Aber das muss doch jeder hier«, sagte Pierre versöhnlich.
»Des mach scho sei, aber an mei Wasch gen di net.«
»Soll ich stattdessen …?«, fragte Pierre.
Bevor Heinlein widersprechen konnte, ging Renate dazwischen.
»Lass, Pierre, des mach i’. Der Schorsch
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