Wolfsblues
niedlich, wenn er die Wölfin mit ihrem Kosename bedachte. Chris und Enya waren innig wie Bruder und Schwester. Sie waren miteinander aufgewachsen. Ich hatte keinen Grund darauf eifersüchtig zu sein. Die besondere Verbindung zu meinen Wölfen und Chris gab mir diese Sicherheit. Ächzend erhob ich mich von meinem Stuhl. »Vorbei mit der Zweisamkeit und auf zur Therapiestunde!«
»Aufgeschoben ist nicht aufgehoben!« Chris zwinkerte mir charmant zu. Er hielt meine Hand fest und zog mich zu sich herunter, küsste mich stürmisch auf den Mund. »Jede Minute ohne dich ist eine verschenkte Minute.«
Ihm ging es wahrhaftig viel besser. Das mit seinem Bein war nebensächlich. Es tangierte ihn als Wolf kaum und als Mensch hatte er sich damit arrangiert.
»Ich muss mich als Therapeut versuchen, schon vergessen? Oder willst du mich begleiten?« Ich schnappte mir Tys Akte, die noch auf dem Schreibtisch lag, in dem Moment, als Chris danach greifen wollte. Schmollend sah er mich an.
»Noch mehr Unterlagen?«
»Keine Horrorakte wie die von Leon! Sie ist positiv, in vielerlei Hinsicht!«, nahm ich ihm gleich den Wind aus den Segeln. »Dazu aber später mehr, versprochen!«
»Dann kannst du sie auch hier lassen.« Chris verschränkte die Arme vor seiner Brust und griente mich unverschämt an.
»Nein, weil es eine Überraschung sein soll und du nicht dicht halten kannst, wenn es gute Neuigkeiten sind. Du wirst so schnell bei ihm …« Mist, verquatscht!
»Ihm? Dann kann es nur Ty sein!« Chris lehnte sich in seinen Sessel zurück und platzierte die Beine auf den Schreibtisch. »Schatz, wie viele Wölfe aus Gliwice haben wir?« Er zeigte auf die Akte, die unter meiner Achsel klemmte.
Ich winkte ab und gab mich geschlagen. »Ja, Tyler. Doch erst kümmern wir uns um den Notfall. Ty ist mental stabil, ganz anders als Leon.«
»Na denn, meine Süße. Tu, was du tun musst. Ich bleibe hier, würde ich nur stören«, trieb er mich fast aus seinem Büro. Empathie war fürwahr nicht sein Ding. Dafür hatte mein durchgeknallter Alpha und Gefährte mich.
»Er ist bereits seit zwei Tagen im Schlafzimmer. Dass er nicht schläft, brauche ich dir sicher nicht zu sagen.« Enya öffnete mir die Tür in einem süßen Blumenhängerchen, welches ihre Kugel ungemein in Szene setzte. Sie war eine bildhübsche Schwangere und stahl jeder Wölfin damit die Show. Jedweder Wolf des Rudels, egal ob Mann oder Frau, las ihr jeden Wunsch von den Augen ab. Dennoch war sie unglücklich, wollte sie nur von ihrem Partner hofiert werden. Doch Leon strafte sie im Moment mit Verachtung, wie jeden von uns. Enya schloss die Tür hinter mir und musste einen Augenblick pausieren. Sie war völlig atemlos. Irgendetwas war faul. Sie war blass um die Nase, hielt sich den unteren Rücken und strich mit der anderen Hand über ihren Bauch. Der Vollmond war längst vorüber, gleichwohl kam mir ihr Verhalten Spanisch vor.
»Mir geht es heute nicht so gut. Ich habe Kopf- und Rückenschmerzen. Mein Kreislauf macht ebenfalls Probleme.«
»Was sagt deine Mutter dazu?«
»Ich soll mich nicht so haben.« Enya war plötzlich ganz grün im Gesicht und verschwand hastig im Bad. Meine Wolfsohren vernahmen, dass sich die Arme soeben übergab. Ich nutzte die Gelegenheit und ging ins Schlafzimmer.
»Na, du egoistisches Arschloch! Fühlt es sich gut an, sich im Selbstmitleid zu suhlen? Deiner Frau geht es schlecht und du liegst hier und bedauerst dich selbst! Wie arm ist das denn?« Sonst war ich immer die Liebe, doch im Moment platzte mir die Hutschnur. Leon interessierte meine Ansage mitnichten. Er lag im Bett, ignorierte mich und sah durch mich hindurch. »Gott, wenn du deinen Hintern nicht augenblicklich hochbekommst und dich am Riemen reißt, dann prügle ich Vernunft in dich rein. Ja, ich weiß, dein Leben hat dich gefickt, aber das hat es mich auch, im wahrsten Sinne des Wortes! Lass die Vergangenheit endgültig ruhen und leg sie ad acta. Du hast hier eine Familie, ein Rudel, eine Frau, die dich liebt und du wirst Vater! Reicht das nicht aus? Nein, du hängst dich so sehr in dieser verflixten Vergangenheit auf, dass es dich sogar körperlich beeinflusst. Diese dummen Blackouts werden immer schlimmer, wenn du im Dreck wühlst!« Ich ließ mich neben ihn aufs Bett fallen, zog meine Knie vor meine Brust und umschloss sie fest mit beiden Armen. »Ty hat fürwahr recht: Gewisse Dinge sollte man ruhen lassen. Ich wünschte, ich könnte einiges aus meinem Gedächtnis löschen,
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