Wolfsblues
für die Behandlungskosten von Leon aufzukommen. Diese hielten sich jedoch in Grenzen. Der Vampir heilte auch ohne medizinische Hilfe atemberaubend schnell. Blutsauger besaßen ein beneidenswertes Heilfleisch. Die Heilkräfte eines Werwolfs waren ohne Frage nicht übel, aber ein Vampir … gebrochene Knochen - kein Thema für sie. In einer Woche waren sie so gut wie neu.
Körperlich schien Leon nahezu genesen. Seine seelische Verfassung erfüllte mich wiederum mit Sorge. Er entfernte sich von uns. Trotz Enya und dem Baby. Leon entglitt nicht nur dem Wolfsrudel. Er löste sich gleichermaßen von meinem Netzwerk und wenn er dies tat … Es wäre sein Ende! Ich musste irgendetwas tun! Aber nein, meine Fähigkeiten waren auf Werwölfe limitiert!
»Er entfremdet sich vom Rudel«, bemerkte Chris besorgt. »Das können wir nicht zulassen. Enya braucht ihn. Sie liebt diesen Idioten. Eventuell sollten wir ihm das in Erinnerung rufen!« Wutschnaubend wanderte Chris’ Hand zu der obersten Akte. Ich hielt ihn nicht zurück. »Hast du die aus Gliwice mitgehen lassen? Aber klar doch … Bertrand, Leon Mathis. Und? Was steht drinnen?«
»Dass er Albträume hat, kann ich nur allzu gut nachfühlen.« Ich nahm das daumendicke Schriftstück an mich und schlug sie auf. »Wenn er die in die Hände kriegt, dann nimmt er sich den Strick. Das ist so sicher, wie das Amen in der Kirche!«
Chris rümpfte die Nase und schielte auf die Akte. »So schlimm?«
»Die Experimente? Zweifellos! Doch was ihm den Todesstoß geben würde, ist das hier.« Ich schlug die Geburtsurkunde auf, die zuoberst lag, und reichte sie Chris, damit er sich nicht verrenken musste, um sie zu lesen.
»Mutter Manon Louise Bertrand , Vater unbekannt. Okay, aber das finde ich jetzt nicht …«
Ich blätterte eine Seite weiter, bis zur Erstuntersuchung im Labor.
»Aufnehmende Ärztin: Manon Bertrand .« Ungläubig starrte Chris auf das Dokument. Er schloss die Akte mit einem lauten Knurren. »Die eigene Mutter. Seine eigene verfickte Mutter hat ihn als Versuchskarnickel benutzt? Wie krank ist das denn? Ich hoffe, das Miststück ist …«
»Sie wurde knusprig braun gebraten, als sie Gliwice hochnahmen. Einem der Ärzte gelang es, zu fliehen. Fatalerweise nahm er Leon mit und machte munter weiter mit den Experimenten.« Ich konnte einfach nicht glauben, dass eine Mutter, zu so einer abscheulichen Tat in der Lage war. »Er hat keine lebenden Verwandten. Sie sind alle tot.«
»Bei der Mutter, wohl besser so!« Chris zündete sich eine Zigarette an, trotz meiner Bitte nicht im Haus zu rauchen. Ich hatte mir diese Untugend abgewöhnt. Doch er stand einfach zu sehr unter Strom, um damit aufzuhören. Ein Rudel zu führen war bei Gott kein Zuckerschlecken. Chris bekam es erschreckend souverän hin und wirkte nach außen immer völlig gelassen. So, als würde es ihn kaum tangieren. Er schaffte es, einen Befehl nachdrücklich auszusprechen, ohne dass sich seine Wölfe rumkommandiert fühlten. Chris konnte das, was man meinem wildem Blut nachsagte. Seine Leute gehorchten, weil sie ihm gefallen wollten. Dessen ungeachtet ging er im Augenblick auf dem Zahnfleisch. Die Sache mit Leon brachte darüber hinaus Unruhe ins Rudel.
»Der Blutsauger darf unter keinen Umständen von dieser Akte und ihrem brisanten Inhalt erfahren. Weiß bislang irgendeiner hiervon?«
Ich würde mich hüten, jemanden von Leons Vorgeschichte zu erzählen. Bei Wölfen zählte die Herkunft. Die Familie war heilig. Noch heiliger als das Rudel. Leon wollte kein Mitleid, ganz gewiss nicht! Energisch schüttelte ich meinen Kopf zur Antwort.
»Gut, dann schließen wir einen Pakt: Wir verlieren darüber kein Sterbenswörtchen mehr. Nicht zu anderen, aber auch nicht untereinander. Dieses Schriftstück ist nicht existent.« Chris nahm den dicken Wälzer, ging damit zum Kamin und warf ihn ins Feuer.
Ich hätte es längst tun sollen! Das Wissen belastete mich. Aber damit musste und damit konnte ich leben, um Leons willen. Ich würde dieses Geheimnis mit mir ins Grab nehmen.
»Möglicherweise könntest du mit unserem Vampir ein Gespräch führen? Black Feather meinte, dass deine Art als Geistheiler fungiert. Auch wenn er kein Wolf ist, schaden kann es bestimmt nicht«, bat Chris mich um diesen Freundschaftsdienst.
»Sicher, versuchen kann ich es, sofern er mich denn empfängt. Er mauert seit wir hier sind.« Und das waren annähernd zwei Tage!
»Eni deichselt es so, dass er dir nicht entkommen kann.« Es war
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