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Wolfsbrut

Wolfsbrut

Titel: Wolfsbrut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Whitley Strieber
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sogar so kalt gewesen, daß nur wenige Autos auf der Straße zu sehen waren. Die üblichen Nachmittagsstaus fehlten; an ihre Stelle waren zahlreiche Taxis und Busse getreten, die gewaltige Wolken kondensierter Abgase hinter sich herzogen. Evans war am Telefon geheimnisvoll gewesen und hatte zweifellos das bißchen Dramatik genossen, das er herausschinden konnte.
    Sie sprachen kein Wort, während das Auto über die Third Avenue raste. In den vergangenen Wochen war Wilson mehr als nur ein wenig schweigsam geworden; Becky war das recht, sie hatte genügend eigene Probleme und mußte sich nicht zusätzlich Beschwerden über die seinen anhören. Der letzte Monat mit Dick war stürmisch gewesen, voller Schmerz und unerwarteter Enthüllungen. Sie wußte jetzt mit Gewißheit, daß Dick unter dem Tisch Geld nahm. Aber seltsamerweise stammte das Geld nicht aus Drogenkreisen, sondern aus dem Glücksspiel. Er hatte vor etwa einem Jahr einen Heroinring in einem illegalen kleinen Spielcasino entlarvt. Dicks Vater war im Altersheim, und Dick hatte die Rechnungen satt, hatte die Tretmühle satt; er hatte die Junkies hochgehen lassen, nicht aber die Spielhölle - für ein paar tausend Dollar. »Es ist ein Spiel«, hatte er gesagt. »Scheiß drauf, das sollte nicht einmal ein Verbrechen sein.« Aber da es eines war, konnte er sich damit auch die sechshundert im Monat verdienen, die sein Vater kostete. Weiß Gott, eines Tages brachten sie vielleicht sogar so viel auf die Seite, daß es für eine anständige Wohnung reichte.
    Es tat ihr weh, daß das mit Dick passiert war. Und die Wahrheit war, sie hatte ihn deswegen gescholten, aber nicht versucht, ihn daran zu hindern und ihn auch nicht angezeigt. Würde sie auch nicht. Aber Dick war ein korrupter Polizist, und sie hatte sich geschworen, daß sie es nie soweit kommen lassen würde. Nun, er hatte sie nicht um Erlaubnis gefragt.
    Sie war stets davon ausgegangen, daß sie nicht den Versuchungen erliegen würde, die in der Polizei so verbreitet waren - und er hatte es auch geschworen. Aber er war ihnen erlegen, und sie ebenfalls, weil sie ihn nicht gehindert hatte. Jetzt schmollten sie miteinander, und keiner war imstande, sich mit dem wahren Grund für ihren Zorn zu konfrontieren. Sie hätten den Mut aufbringen sollen, damit aufzuhören; statt dessen hatten sie es einfach geschehen lassen. Sie hatten einander enttäuscht, und deswegen waren sie verbittert.
    So verbittert, daß sie mehr und mehr Zeit getrennt verbrachten. Häufig lagen Tage zwischen gemeinsamen Abenden oder einsilbigen Frühstücken. Sie hatten stets darauf geachtet, daß ihre Dienstpläne übereinstimmten. Jetzt richteten sie es so ein, daß sie sich aus dem Weg gingen. Jedenfalls was Becky anbelangte; sie hörte einfach auf, sich um den Dienstplan zu bemühen. Sie nahm, was sie bekam, und Überstunden waren willkommen. Irgendwann einmal würde es zu einer Konfrontation kommen, aber nicht jetzt, nicht heute. Heute war sie unterwegs zum Büro des Gerichtsmediziners, um sich über einen Fall informieren zu lassen, vielleicht zum erstenmal seit verdammt langer Zeit etwas Interessantes.
    Evans erwartete sie im Empfangsraum. »Zieht die Mäntel nicht aus«, sagte er, »wir gehen in die Kühlhalle.« Das bedeutete, daß die sterblichen Überreste bereits in Verwesung übergegangen waren. Das Büro des Gerichtsmediziners verfügte über eine winzige Kühlhalle, die drei Operationstischen und ein paar Leuten, die sich eng zusammendrängten, Platz bot. Wilson verdrehte die Augen, während sie durch den nach Desinfektionsmitteln riechenden Flur zur Kühlhalle gingen; Er hatte Becky mehr als einmal erzählt, daß die Kühlhalle in seinen Alpträumen vorkam.
    »Wieder ziemlich schlimm«, sagte Evans im Plauderton. »Ich rufe euch nur an, wenn ich ein echtes Gemetzel habe. Ich hoffe, das macht euch nichts aus.« Es war möglich, daß Evans geschmacklos war, oder es war ein Versuch zu scherzen. Becky machte sich nicht die Mühe zu lachen; statt dessen stellte sie eine Frage.
    »Was werden wir zu sehen bekommen?«
    »Drei Tote, ziemlich verwest.« Er schob sie in die grell erleuchtete Kühlhalle und machte die Tür hinter ihnen zu. Er mußte nicht mehr sagen; die Leichen waren eindeutig auf dieselbe Weise angegriffen worden wie DiFalco und Houlihan. Es hatte etwas Grauenerregendes, dieselben Kratzspuren an den Knochen zu sehen, dieselben Spuren von Bissen. Becky hatte Angst, so große Angst, daß sie ihre Gefühle gar nicht verstand.

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