Wolfsbrut
Aber sie wußte in dem Augenblick, als sie die Leichen sah, daß der Chief of Detectives genau den Fehler gemacht hatte, den sie befürchteten - dies war kein gewöhnlicher Mordfall.
»Gottverdammt«, sagte Wilson.
Der Gerichtsmediziner lächelte, aber dieses Mal ohne Humor. »Ich kann diese Leichen nicht erklären. Ihr Zustand ist vollkommen unvorstellbar.«
»Er ist vorstellbar«, sagte Becky, »sobald man davon ausgeht, daß sie nicht von Menschen getötet wurden.«
»Was dann?«
»Das gilt es herauszufinden. Aber Sie verschwenden Ihre Zeit mit uns. Underwood hat uns den Fall weggenommen.«
»Nun, er wird ihn euch wiedergeben müssen.«
»Es gibt viele Polizisten in diesem Revier«, warf Wilson ein. »Ich bin sicher, er wird andere finden. Und es ist wahrscheinlich, daß er das auch wollen wird. Wird ziemlich peinlich für ihn sein.« Wilson schüttelte den Kopf. »Verdammt peinlich. Verschwinden wir aus diesem Kühlschrank. Wir haben alles gesehen, was wir sehen mußten.«
Evans machte die Tür auf. »Ihr kommt wieder ins Rennen«, sagte er. »Dafür sorge ich. Also fangt an zu arbeiten. Ihr braucht eine Lösung.«
Sie machten sich nicht die Mühe, den Gerichtsmediziner zu fragen, wie die Leichen hergekommen waren; statt dessen riefen sie das Hauptquartier an. Kaum war er mit dem Hauptquartier fertig, rief Wilson das einundvierzigste Revier in der South Bronx an und bat darum, mit dem Captain sprechen zu können. Sicher konnten sie vorbeikommen, aber es arbeiteten bereits zwei Polizisten an dem Fall. »Könnte ein Zusammenhang mit einem anderen Fall bestehen, einem von uns.« Er legte den Hörer auf. »Gehen wir.«
Sie kämpften sich den Weg durch die Stadt zum FDR-Drive frei. Obwohl das schlechte Wetter den Verkehr verringert hatte, war es immer noch schwierig, die Stadt zu durchqueren. »Ich habe einmal gelesen, daß man heute mit dem Auto länger braucht, die Stadt zu durchqueren, als damals mit der Kutsche.«
»Und noch länger, wenn ich fahre, richtig?«
»Klar, wenn du meinst.«
»Diese verfluchten hohen Tiere«, knurrte Becky.
»He, wir geraten in Rage, meine Teuerste.«
»Ganz recht. Wir haben zwei begrabene und vergessene Polizisten, und wir wußten verdammt gut, daß etwas nicht stimmt. Der Teufel soll diese politischen Scheißkerle holen. Ein schwarzer Tag, wenn die Polizei von New York nicht einmal mehr ordentliche Ermittlungen durchführt, wenn zwei Beamte getötet werden. Seedman hätte das nie zugelassen.«
Wilson seufzte und drückte mit diesem einzigen Laut sämtliche Gefühle über die Polizei aus, die zu hassen er so sehr liebte, Gefühle, die er anders nicht ausdrücken konnte oder wollte. Die Polizei hatte ihn verletzt und ihm geholfen; in den vergangenen Jahren hatte er miterlebt, wie sich der Schwerpunkt von der Verbrechensaufklärung auf die Verbrechensbekämpfung verlagerte. Die Bürger verlangten Schutz auf den Straßen; die einstmals stolzen Detectives verschwanden, der Streifenpolizist zu Fuß kam zu Ehren. Die Altvorderen wurden immer weniger; Wilson war einer von ihnen, hellwach und pfiffig. Und die Tatsache, daß sein Juniorpartner eine Frau war, war ein weiteres Anzeichen für den Verfall der Truppe. Er sah zum Fenster hinaus. Becky konnte sein Gesicht nicht sehen, den Gesichtsausdruck aber erraten. Sie wußte auch, daß es keinen Sinn hatte, jetzt mit ihm zu reden; er war nicht ansprechbar.
Sie fuhren durch die verfallenen Straßen des einundvierzigsten Bezirks, an verlassenen, mit Pflastersteinen übersäten Parkplätzen vorbei, an leerstehenden Häusern, verbrannten, aufgegebenen Ruinen, ausgeschlachteten Autos, ekelhaftem Abfall auf den Straßen. Und Becky dachte: »Irgendwo ist irgend etwas. Es ist hier.« Sie wußte es. Und an der Art, wie sich Wilson bewegte, wie seine Haltung steif wurde, das Gesicht dunkler, wie er die Mundwinkel nach unten zog, konnte sie sehen, daß er dasselbe Gefühl hatte.
»Jedesmal, wenn ich hierher komme, sieht es schlimmer aus.«
»Welche Straße war es wieder, George?«
»East Einhundertvierundvierzigste Straße. Die alte Vierundvierzigste. Verdammtes Durcheinander heute.« Wilson war in der Nachbarschaft seiner Kindheit und betrachtete die Ruinen seiner Knabenjahre. »Damals war es ziemlich gut hier, nichts Besonderes, aber ganz sicher nicht so. Mein Gott.«
»Ja.« Becky bemühte sich, ihn mit seinen Gedanken alleinzulassen. Da die kleine Stadt, wo sie aufgewachsen war, immer noch genauso war wie einst und es scheinbar ewig
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