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Wolfsbrut

Wolfsbrut

Titel: Wolfsbrut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Whitley Strieber
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vorbei auf die Lichtung, wo der Elch graste. Mein Dad fluchte verhalten - diese Wölfe waren im Begriff, unsere Trophäe zu verscheuchen. Aber das taten sie nicht. Der große Elchbulle sah auf die abgemagerten Wölfe hinunter und schnaubte nur. Sie kamen näher, und er hörte auf zu grasen und sah sie an. Du hättest es nicht für möglich gehalten. Die verdammten Wölfe wedelten mit den Schwänzen! Und der Elch stieß ein gewaltiges Brüllen aus, und sie sprangen ihn an. Sie rissen ihn in Stücke und ließen ihn verbluten. Wir waren so fasziniert, daß wir wie angewurzelt stehenblieben. Es war, als wären sie sich alle einig gewesen, daß das Töten stattfinden mußte. Die Wölfe und der Elch waren sich einig. Er schaffte es nicht mehr, sie brauchten Fleisch. Also ließ er sich von ihnen zerfetzen. Und diese Hochwaldwölfe sind mager. Wie deutsche Schäferhunde. Sehen nicht aus, als könnten sie einen ausgewachsenen Elch überwinden. Hätten sie auch nicht, wenn er nicht damit einverstanden gewesen wäre.« Er sah sie wieder an und behielt kaum den Verkehr im Auge. Heute war er auch kein besserer Fahrer als sie.
    »Und was soll uns das sagen?«
    »In dieser Version der Geschichte bin ich der Elchbulle. Ich hatte keine Angst, aber ich wußte, daß sie die Treppe herunterkamen. Wären sie mir nähergekommen, dann glaube ich, wäre ich weg vom Fenster gewesen.«
    »Aber du hast nicht gewollt, daß sie dich töten! Wir sind nicht wie Tiere, wir wollen überleben.«
    »Ich weiß nicht, was in meinem Verstand vorging«, sagte er. Sie konnte dem erstickten Klang seiner Stimme entnehmen, daß er geschluchzt hätte, wäre er nicht Wilson gewesen. »Ich weiß nur eines, ich weiß nicht, ob ich sie hätte aufhalten können, wenn sie tatsächlich nähergekommen wären.«

4
    Becky Neff erwachte unvermittelt aus unruhigem Schlaf. Ihr war, als hätte sie ein Geräusch gehört, aber sie konnte, abgesehen vom Wind, nichts mehr vernehmen; nur der Schnee flüsterte leise an der Fensterscheibe. Das Licht der Straßenlaternen unten beleuchtete die Decke. In der Ferne fuhr ein Lastwagen polternd die Second Avenue hinab.
    Die Zeiger der Uhr standen auf viertel vor Vier. Sie hatte vier Stunden geschlafen. Sie erinnerte sich an die Andeutung eines Traums - ein Blutschwall, ein ekelhaftes Gefühl, bedroht zu werden. Vielleicht hatte sie das geweckt. Dicks regelmäßiger Atem im Bett neben ihr war beruhigend. Wäre ein ungewöhnliches Geräusch zu hören gewesen, wäre er auch wach geworden. Sie berührte ihn sanft und dachte daran, wie es noch vor kurzem zwischen ihnen gewesen war und wie selbst über die stärkste Liebe Veränderungen kommen können. Sie wurde traurig und furchtsam. Es war kalt in der Wohnung, die Heizung hatte noch nicht eingeschaltet. »Dick«, sagte sie leise.
    Keine Antwort. Sie hatte es nicht laut genug gesagt, ihn zu wecken, und sie sagte es nicht noch einmal. Dann drehte sie sich um, damit sie die Zigaretten vom Nachttisch nehmen konnte, und erstarrte. An der Decke war ein Schatten. Sie beobachtete, wie er sich langsam bewegte, eine geduckte Gestalt, als würde etwas auf dem Bauch über den Schlafzimmerbalkon kriechen. Sie dachte panisch an die Schiebetür - verschlossen? Sie hatte keine Ahnung.
    Dann war der Schatten verschwunden, und sie stellte fest, daß sie immer noch auf dem Rücken lag und nicht nach den Zigaretten gegriffen hatte. Dieser Traum hatte, ganz nach der Art schlimmer Alpträume, auch dann noch angedauert, als sie geglaubt hatte, sie wäre wach. Nach diesem Gedanken hörte ihr Herz auf, so heftig zu schlagen. Selbstverständlich war es ein Traum gewesen. Nichts konnte sechzehn Stockwerke hoch auf einen Balkon klettern. Und nichts hatte ihr folgen können. Trotzdem wurde sie das Gefühl nicht los, daß da draußen etwas war. Irgend etwas mußte ihren Traum ja beendet haben. Etwas mußte sie geweckt haben.
    Sie sah in Gedanken die verstümmelten Gesichter von DiFalco und Houlihan vor sich. Sie dachte daran, wie sie von dem schlammigen Boden hochstarrten. Und sie dachte an Mike O'Donnell, den alten blinden Mann, der in seiner eigenen Dunkelheit gestorben war.
    Wie sahen die Killer aus? Sie war davon ausgegangen, daß sie wie Wölfe aussahen, aber möglicherweise auch nicht. Sie wußte, daß Wölfe nie einen Menschen getötet hatten. Im allgemeinen sind sie für Menschen nicht gefährlicher als Hunde. Wölfe interessierten sich für Elche und Wild. Menschen machten ihnen wahrscheinlich mehr Angst als

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