Wolfsbrut
konnte, um die Ermittlungen gegen ihn abzuschmettern. Sie mußte es tun; sie war nur aufgrund der Tatsache darin verwickelt, daß sie seine Frau war. »Sie haben gewußt, daß er zusätzliches Geld bekam«, würden sie sagen. »Was haben Sie gedacht, woher das stammt?« Auf diese Frage konnte es nur eine Antwort geben.
Es machte ihr selbstverständlich nichts aus, ihm zu helfen. Er war lange Zeit ein guter Ehemann gewesen, und sie fand, daß das, was sich zwischen ihnen abspielte, sehr traurig war. Das Problem war, es war ihr einerlei. Die Intimität, die sie früher miteinander verbunden hatte, war durch Unaufmerksamkeit gestorben. Wo sie einst voller Liebe gewesen war, empfand sie jetzt nur noch steinerne Langeweile. Sie hatte nicht einmal das Gefühl, etwas verloren zu haben. Oder vielleicht doch - vielleicht - das Gefühl, als hätte sie eine Liebe verloren, die niemals Wirklichkeit gewesen war.
Sie mußte sich fragen: Wenn eine Liebe so sterben kann, was ist dann wirklich? Sie erinnerte sich an das lange Glück der Vergangenheit, ein Glück, das ewig zu sein schien. Als sie vor fünf Jahren an Weihnachten in die Catskills Schlittenfahren gegangen waren, da war die Liebe zwischen ihnen Wirklichkeit gewesen. Und in den schweren Zeiten, bevor sie Polizistin geworden war, da war diese Liebe sogar mehr als wirklich gewesen. Es war nicht nur so, daß Dick ein guter Liebhaber war, er war ein Partner und Freund in einer umfassenden und ganz besonderen Art. »Du bist wunderschön«, pflegte er zu sagen, »du bist wunderbar.« Das hatte mehr als das Körperliche eingeschlossen. Vielleicht war es unvermeidlich, daß seine Leidenschaft nachließ, als sie in die Jahre kam. Aber nicht seine Leidenschaft war das Problem, sondern ihre. Sosehr sie sich bemühte, sie konnte Dick Neff nicht mehr lieben.
Wilson wartete fünf Minuten, bis er sicher war, daß sie nicht noch einmal anrufen würde. Das Telefon läutete nicht mehr. Offenbar hatte seine Unhöflichkeit sie so in Rage gebracht, daß sie beschlossen hatte, ihn den Rest der Nacht zu ignorieren.
Gut. Er ging ins Schlafzimmer und schloß eine Truhe auf, die er im begehbaren Kleiderschrank stehen hatte. Darin befanden sich ein paar höchst illegale Waffen -eine abgesägte Schrotflinte, eine funktionstüchtige BAR aus dem Zweiten Weltkrieg und eine automatische Pistole Ingram M-ll. Er nahm die automatische Pistole aus der Schachtel und holte einen Karton Munition. Er überprüfte sorgfältig die Mechanik der Pistole, dann wog er sie in der Hand. Es war ein Vergnügen, ihre Balance zu spüren. Zweifellos die beste automatische Handfeuerwaffe, die jemals entwickelt worden war, leicht, schallgedämpft, zwanzig Schuß pro Sekunde. Sie war nicht entwickelt worden, um Angst zu machen, aufzuhalten oder zu verwirren, sondern einzig und allein zum Töten. Eine einzige Kugel konnte einem Menschen den Schädel zertrümmern. Die beste automatische Waffe, die je gemacht worden war. Die schnellste. Die mörderischste. Er machte den Munitionskarton auf und schob die speziellen Unterschallgeschwindigkeitspatronen Kaliber .380 in die Waffe. Jetzt war sie schwerer, lag aber immer noch gut in der Hand. Sie war nur dreieinhalb Pfund schwer und konnte mühelos gehalten werden. Und angelegt. Das Visier war präzise. Die Reichweite war für eine Handfeuerwaffe beinahe unglaublich. Mit dieser Waffe konnte man einen Menschen auf hundertfünfzig Meter Entfernung erschießen. Eine Salve von drei oder vier Schuß würde ihn auch dann erwischen, wenn er auf der Flucht war.
Er legte die Pistole aufs Bett und zog einen Mantel an, den er fast nie trug. Als er das getan hatte, ließ er die M-ll in eine Tasche gleiten, die eigens geschneidert war, damit die Neun-Zoll-Waffe hineinpaßte. Wilson hatte sich den Mantel ändern lassen, als er die Pistole gekauft hatte. Die M-ll war in der Tasche fast unsichtbar. Trotz Größe und Gewicht der Waffe würde nur ein sorgfältiger Beobachter merken, daß er sie bei sich hatte. Seine Hand tastete nach der Waffe in der Tasche; er entsicherte sie mit dem Daumen. Wenn er jetzt den Abzug betätigte, konnte er innerhalb von Sekunden einen Schuß oder das ganze Magazin abfeuern. Ausgezeichnet. Dann holte er seinen Winterhut heraus, der alt und zerknittert war und den Kopf ebensogut vor der Kälte schützte, wie er das Gesicht verbarg. Danach die Schuhe - schwarze Turnschuhe, die mit zwei Paar Socken überraschend warm waren und mit denen man selbst im Schnee äußerst
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