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Wolfsbrut

Wolfsbrut

Titel: Wolfsbrut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Whitley Strieber
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beiden anderen würden zu Hilfe eilen, sollte es zu einem Kampf kommen.
    Sie hielt einen Moment den Atem an, um den Kopf zu klären. Dann studierte sie das Opfer mit den Augen. Das Fleisch war nicht sichtbar, es war unter schwerer Kleidung verborgen. Sie mußte springen, durch die Kleidung dringen und gleichzeitig die Kehle durchbeißen. Würde die Nahrung mehr als ein paar Zuckungen machen, würde sie die Meute enttäuschen. Sie machte die Nase auf und ließ wieder die reichhaltigen Gerüche der Welt einströmen. Sie lauschte die Straße hinauf und hinab. Nur Automobilverkehr, im Umkreis von mindestens fünfzig Metern keine Fußgänger. Sie neigte das Ohr in Richtung eines Mannes, der im hellerleuchteten Foyer eines Gebäudes auf der anderen Straßenseite im Sessel saß. Er hörte Radio. Sie sah, wie er den Kopf drehte. Er sah in die Halle.
    Jetzt. Sie sprang, drückte die Nase in Stoff, gegen warme Haut, spürte die Vibrationen einer Reaktion in dem Mann, spürte, wie seine Muskeln sich verkrampften, als er darauf reagierte, daß sie auf ihm stand, dann öffnete sie den Mund, spürte ihre Zähne auf der Haut abwärts gleiten, preßte die Zunge gegen die köstlich salzige Haut und riß mit aller Kraft an Kiefern und Hals und Brust; dann sprang sie mit dem blutigen Halsstück im Maul wieder auf die Mauer. Der Mann auf der Bank regte sich kaum, während das Blut aus dem Sterbenden ausströmte.
    Und der Mann im Foyer wandte sich wieder der Straße zu. Er hatte nichts mitbekommen. Sie witterte ihn und beobachtete ihn, stets wachsam. Sein Atem war regelmäßig, sein Geruch normal. Gut, er hatte nichts gemerkt.
    Nachdem sie ihre Aufgabe erledigt hatte, sprang sie auf der anderen Seite der Mauer hinunter und verschlang ihre Beute. Sie schmeckte köstlich nach Blut. Die Meute um sie herum war sehr glücklich. Drei hoben den Leichnam über die Mauer und ließen ihn mit einem dumpfen Aufprall fallen. Die zwei anderen, die speziell in dieser Kunst bewandert waren, entfernten die Kleidung. Sie würden das Material zur anderen Seite des Parks tragen, es zerfetzen und in Büschen verstecken, bevor sie sich wieder der Mahlzeit zuwandten.
    Dann scharrten sie frischen Schnee über das Blut ihrer Mahlzeit. Als sie das getan hatten, kehrten sie zu einem Ort zurück, den sie vorher gesehen hatten, eine große Wiese voll herrlichem Neuschnee.
    Sie liefen und tanzten im Schnee, spürten die Lust an ihren Körpern, das Vergnügen, ungehindert über die weite Ausdehnung zu laufen, und weil sie wußten, daß keine Menschen in Hörweite waren, erlaubten sie sich das wonnevolle Heulen, dessen pulsierenden Rhythmus sie nach der Jagd so gerne hatten. Der Laut stieg über den Park hinaus und hallte von den umliegenden Gebäuden zurück. In diesen Gebäuden regten sich ein paar wache Bewohner und wurden unruhig angesichts der Kälte und des uralten Entsetzens, welches dieser Laut der Menschheit vermittelte.
    Dann begaben sie sich in den Tunnel, in dem sie die vergangenen vier Nächte gehaust hatten, und ließen sich nieder. Aufgrund alter Gewohnheiten schliefen sie in den frühen Morgenstunden, wenn die Menschen ebenfalls am ruhigsten waren. Bei Tag, der besten Zeit der Menschen, blieben sie wach und aufmerksam und verließen ihre Deckung nicht, sofern es nicht zwingend notwendig war. Am Abend jagten sie.
    Diese traditionelle Ordnung des Lebens reichte weit zurück.
    Vor dem Einschlafen verkehrten die Zweitgeborenen miteinander, um die anderen zu unterhalten und sich auf den Frühling vorzubereiten. Hinterher leckten Vater und Mutter sie, dann schlief die Meute.
    Aber sie schliefen nicht lange, nicht bis zur Stunde vor der Dämmerung, wie es ihrer Gewohnheit entsprach. In dieser Nacht mußten sie noch etwas erledigen, und anstatt während der stillen Stunden zu schlafen, verließen sie das Versteck und schlichen durch die einsamen Straßen.

    Becky hörte, wie das Telefon am anderen Ende der Leitung einmal, zweimal, dreimal läutete. Schließlich nahm Wilson ab. Er war also doch nach Hause gegangen.
    »Alles in Ordnung?« fragte sie.
    »Ja, Mama.«
    »Nicht gleich sarkastisch werden. Ich wollte mich nur vergewissern.«
    Er legte auf. Sie überlegte, ob sie den Hörer auf die Gabel knallen sollte, aber was würde es nützen? Sie legte behutsam wieder auf und ging ins Wohnzimmer zurück. Dick hatte sie nicht gehört, und sie blieb hinter ihm stehen. In seinem Sessel zusammengekauert, sah er winzig aus, geschrumpft. Sie würde tun müssen, was sie

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