Wolfsbrut
uns noch alles bevorsteht.« Ferguson bat um die Einzelheiten von Evans Tod. Wilson schilderte sehr sachlich und teilnahmslos, wie die Werwölfe einen Streifenpolizisten verwundet hatten, der auf Spurensuche war, wie sie sie in einen Hinterhalt gelockt hatten, die Flucht mit den Schneemobilen, als Wilson hinter die Sache gekommen war, und anschließend die Entdeckung der Leiche des Gerichtsmediziners im Auto.
»Sie haben Sie nicht erwischt und statt dessen ihn genommen.«
Wilson schwieg einen Augenblick. »Ja«, sagte er schließlich. »Ich wünschte mir so sehr, ich hätte es geahnt, aber ich ahnte es nicht. Ich habe einfach nicht geglaubt, daß er in Gefahr sein könnte.«
»Warum nicht?«
»Wenn man zurückblickt, ist es wohl logisch. Aber damals habe ich nicht daran gedacht. Das ist die verdammte Wahrheit.« Er stieß einen abgehackten Stoßseufzer aus. »Der alte Penner war ein guter Kerl. Ein verdammter Profi.«
Für Wilson war das wahrhaftig eine hochtrabende Grabrede. »Planen wir unser weiteres Vorgehen«, sagte Becky noch einmal.
»Was planen! Wir haben nichts zu planen!«
»Hör auf, Wilson, bleib auf dem Teppich. Wir könnten es wenigstens versuchen. Ich dachte, wir wollten heute nacht versuchen, Aufnahmen zu machen. Planen wir wenigstens das.«
»Wie wäre es, wenn wir planen, wie wir bis heute nacht überleben können. Wäre es nicht sinnvoller, das zu planen, wo es doch ziemlich unsicher aussieht, ob wir es schaffen werden?«
Sie schüttelte stumm den Kopf. Er war ein verdrießliches Arschloch. Bisher hatte sie sich auf ihn verlassen und war stets davon ausgegangen, daß er sie durchbringen würde. Das hatte er auch. Die Flucht im Park war ein Beispiel dafür. Aber jetzt zerbrach er und näherte sich immer weiter dem Abgrund. Wilson hatte immer Angst vor dem Leben gehabt, und jetzt, da der Tod zu einer ernstzunehmenden Möglichkeit geworden war, hatte er Angst vor dem Tod. Und wie fühlte sich Becky selbst? Sie hatte Angst und war nicht sicher, ob einer von ihnen überleben würde - am allerwenigsten sie selbst -, aber sie wollte nicht aufgeben. Bisher hatte Wilson den Oberbefehl über diesen Fall und seine Sache gut gemacht. Aber er wurde müde. Es sah aus, als wäre sie jetzt an der Reihe.
»Wilson, ich habe gesagt, wir planen unsere Vorgehensweise. Hör zu. Zuerst müssen wir uns Underwood vornehmen. Wir haben Beweise, die verdammt schwer zu ignorieren sind. Ich meine, Evans' Ermordung wird für Schlagzeilen sorgen. Sie müssen etwas dazu sagen. Und man kann verdammt sicher sein, daß die Fernsehsender und Zeitungen am Schauplatz sind. Wie werden sie es aufnehmen? Gerichtsmediziner bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Das wird eine verdammt gute Erklärung erfordern.«
»Kein Wort davon zu den Zeitungen«, sagte Ferguson, dem die Bedeutung von Becky Worten plötzlich bewußt wurde. »Sie werden alle Arten von Ärger erzeugen - Panik, Angst, es wird die Hölle sein. Und die Wolfen werden genau auf die Weise bedroht werden, die wir nicht wollen - brutal, von Idioten mit Schrotflinten. Anfangs werden vielleicht ein paar verwundet, aber sie werden sich rasch anpassen, und dann sind sie viel schwerer zu finden. Unsere Chance wird vertan sein - vielleicht für Generationen.«
»Wie schwer sind sie denn jetzt zu finden?« fragte Wilson verbittert.
»Nun, offenbar ziemlich schwer. Ich wollte damit nicht sagen, daß man leicht mit ihnen zurechtkommt. Aber Ihnen ist vielleicht nicht klar, Detective Wilson: Wenn es sich diese Wesen in den Kopf setzen, vollkommen zu verschwinden, dann können sie es.«
»Sie meinen, sie können unsichtbar werden?« Wilsons Stimme schwoll an. Er schien kurz davor, den Wissenschaftler anzuspringen.
»Wenn man so will. Momentan sind sie sehr unvorsichtig. Denken Sie nur an die Tatsache, daß Sie sie gesehen haben. Das ist ein Beweis für Unvorsichtigkeit ihrerseits. Aber nicht ohne Grund. Sie wissen, es ist ein Risiko, sich von Ihnen sehen zu lassen, aber kein sehr großes, weil Sie aller Wahrscheinlichkeit nach nicht überleben werden, um anderen davon zu erzählen.«
»Vielleicht, vielleicht nicht.«
»Sie sind Raubtiere, Detective, und sie haben die Arroganz von Raubtieren. Erwarten Sie nicht, daß sie die Menschen fürchten. Fürchten wir uns vor Schweinen und Schafen? Respektieren wir sie?«
»Wir sind verdammt noch mal keine Schafe, Doktor! Wir sind Menschen, wir haben Gehirne und Seelen!«
»Schafe haben auch Gehirne. Und was die Seelen anbelangt, so
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