Wolfsbrut
hob es die Schnauze ein wenig vom Boden und machte die Augen zu.
Der Alte Vater zögerte nicht; er tötete seinen Sohn mit einem einzigen heftigen Biß. Der Körper des Jungen zuckte unbeherrscht, er riß den Mund auf. Als der Vater das herausgerissene Fleisch aus dem Hals des Jungen verschlungen hatte, war sein Sohn tot. Die beiden anderen umringten ihn auf der Stelle. Er sah sofort, wer die Führerschaft übernehmen würde: seine Schwester.
Jetzt kam es zur Konfrontation: Entweder würde er rollen oder kämpfen. Wenn er kämpfte, würden sie alle kämpfen, vier gegen ihn, und alle voller Wut. Als er sie ansah, wußte er, daß er den Kampf dennoch gewinnen würde. Aber um welchen Preis; seine Meute würde von Haß verzehrt werden und einem Vater folgen, den sie verachteten. Zum Nutzen von allem, was er aufgebaut hatte, rollte er daher vor seiner Schwester. Sie verachtete seine Geste und entfernte sich mit aufgerichtetem Schwanz. Seine jüngste Tochter, die immer noch vom Kummer des Verlusts gezeichnet war, akzeptierte an ihrer Stelle das Rollen. Als sie seinen Hals packte, machte er die Augen zu und wartete auf den Tod. Manchmal ließen sich diejenigen, die zu jung für den Brauch waren, von ihren Gefühlen überwältigen und töteten diejenigen, die vor ihnen rollten. Eine Ewigkeit schien zu verstreichen, bis sie ihn freigab. Jetzt hatte die ganze Meute die Schwänze fröhlich aufgerichtet; seinen eigenen klemmte er zwischen die Beine. Da er seine Führerschaft verloren hatte, würde er künftig ein Leben der Gefahren und Risiken führen. Nach der geringsten Geste der Überlegenheit würde sie nach ihm schnappen. Und bis er, seine Schwester und die jüngste Tochter neue Partner gefunden hatten, würde eine unausgeglichene, häßliche Situation die Meute beherrschen.
Blieb noch eine letzte Aufgabe, bevor die neu organisierte Meute weiterziehen konnte. Sie drehten den Leichnam ihres Bruders auf den Rücken und aßen ihn, zerdrückten sogar die Knochen zwischen den Kiefern und verzehrten ihn bis zum letzten Stück, abgesehen von ein paar Fellbüscheln. Er wurde aus Notwendigkeit und Respekt gegessen. Jetzt würden sie seiner immer gedenken, seines tapferen Todes und guten Lebens. Jeder von ihnen verband den Geschmack seines Fleisches mit kostbaren Erinnerungen. Hinterher heulten sie, und dieses Heulen sollte ausdrücken, daß die Toten tot waren und das Leben weiterging. Danach standen sie im Kreis und berührten einander mit den Schnauzen; ihre Freude darüber, zusammen zu sein, verdrängte Trauer und Verwirrung. Schließlich machten sie alle die Münder auf und atmeten ihre starken Gerüche ein, und die Intimität und Nähe rührten ihre Herzen.
Aber der Alte Vater und seine Schwester waren kein Paar mehr. Sie brauchte jetzt einen Mann, einen Ersatzbruder, der bereit war, sie als Anführerin zu akzeptieren. Die meisten einzelnen Männchen, die eine ernste Sünde begangen hatten, etwas so Schlimmes, daß sie aus ihrer Meute verstoßen worden waren, würden eine solche Position mit Freuden akzeptieren. Und auch die Tochter, die den Bruder verloren hatte, mußte möglichst bald ein neues Männchen finden. Die beiden Weibchen verströmten bereits ihren Geruch des Verlangens, auf den die Körper der beiden Männchen ansprachen und der den Alten Vater dazu brachte, wehmütig und lüstern an seine Schwester zu denken. Seine Tage des Paarens waren wahrscheinlich vorbei, es sei denn, er fand ein Weibchen, das ebenso verkommen war wie er selbst. Soll etwas Zeit vergehen, dachte er, dann werde ich meinen eigenen Geruch verbreiten, um eine neue Partnerin zu finden. Soll Zeit vergehen... und heilen.
Seine Schwester beobachtete ihn, wie er so dastand, verwirrt war und sich nicht entscheiden konnte, was er mit sich anfangen sollte, nachdem er seine Führerschaft verloren hatte. Ihr Herz verlangte, daß sie ihn tröstete und seinen Kummer teilte, aber sie hielt den Schwanz hoch und sah ihm nicht ins Gesicht. Sie hatten diese Meute zusammen gegründet, aber die Kinder konnten die Führerschaft eines Vaters nicht akzeptieren, der so schlecht geplant hatte, daß eines seiner eigenen Kinder sterben mußte. Es war gerecht, und sie alle mußten damit leben. Aber sie konnte es nicht ertragen, ihn so zu sehen! Er schrak zurück und sah ängstlich von einem Gesicht zum anderen. Seine Schönheit und sein grenzenloser Stolz auf die kleine Meute waren dahin. Sie hatten sie gemeinsam aufgebaut; sie konnte es nicht ertragen, es mit einem
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