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Wolfsbrut

Wolfsbrut

Titel: Wolfsbrut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Whitley Strieber
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sich selbst. Der wahre Dick Neff war ihr heute immer noch so fremd wie bei ihrer ersten Begegnung. Und ihre Seele, die all die langen Jahre über nach seiner Liebe gedürstet hatte, hatte mittlerweile einfach aufgegeben. Sie wußte jetzt, was in ihrer Beziehung fehlte, und sie hatte angefangen, alles in ihrer Macht Stehende zu versuchen, um den Schaden zu beheben. Sie sehnte sich danach, daß er sich ihr öffnete, daß er ihr mehr gab als den geringen Teil seiner selbst, der mit seiner ausgeprägten Sexualität einherging, aber sie spürte, daß er letztendlich scheitern würde. Sie konnte nicht genau sagen, warum sie so empfand, aber sie empfand so. Vielleicht lag es an der Kälte, die sie in seinen Augen sah, und die Lust, die aus ihnen sprach, wenn sie so verzweifelt Liebe sehen wollte. Die war auf eine Weise verkümmert, wie viele Polizisten verkümmert waren. Er hatte zuviel vom Elend des Lebens gesehen, um sich einem anderen Menschen zu öffnen, nicht einmal seiner Frau. Als sie frisch verheiratet waren, war Dick mit vor Sorgen eingefallenen Augen heimgekommen und hatte seinen Gefühlen angesichts der Schrecken, die er gesehen hatte, keinen Ausdruck verleihen können. Er beschrieb sie hölzern, ohne jegliche Emotionen in der Stimme.
    Er hatte den Selbstmord eines Kindes gesehen; ein zwölfjähriges Mädchen war an selbst zugefügten Verbrennungen in seinen Armen gestorben. Sie hatte sich mit einem Petroleumofen in Brand gesetzt und war dann brennend durch ein Fenster auf die Straße gesprungen.
    Er hatte eine Mutter gesehen, schwanger, von einer Bande drogensüchtiger Teenager geköpft. Er war als erster am Tatort erschienen und hatte die Fehlgeburt des sieben Monate alten Fötus mit angesehen.
    Er hatte in den Jahren auf der Straße noch vieles gesehen, und das meiste hatte auf die eine oder andere Weise mit Drogen zu tun gehabt. Diese Erlebnisse - und seine Erfahrungen bei der Drogenfahndung - hatten einen besessenen Menschen aus ihm gemacht, der nur ein Ziel kannte: die Dealer zu vernichten, die die Menschen vernichteten.
    Diese Besessenheit mußte auf so mannigfaltige Weise verraten werden, daß sein Haß auf das Verbrechen in Selbstverachtung umgeschlagen war, eine Verspottung seines Wertes als Persönlichkeit. Bei einem Mann wie Dick führten Probleme dazu, daß er langsam sein Herz verschloß, das Leben ausschloß, bis nichts mehr übrigblieb außer Wut, animalischer Lust und einem vagen alles überschattenden Kummer, dem er keinen Ausdruck verleihen konnte.
    Becky wußte das alles über ihren Mann und sehnte sich danach, es ihm zu erzählen. Aber es war hoffnungslos, und diese Hoffnungslosigkeit trieb jetzt einen Keil zwischen sie. Sie näherte sich mit wachsender Geschwindigkeit dem Punkt, an dem sie ihn verlassen mußte, wenn sie ihm nicht helfen konnte.
    Und dann war da Wilson. George Wilson, ein mürrischer, unattraktiver Brummbär mit einer offenen Seele. Er mochte knurren und schimpfen, aber man konnte Wilson öffnen und in sein Innerstes gelangen. Und er liebte sie mit jungenhafter Verzweiflung. Wenn seine Ovationen beachtet wurden, war er erstaunt und dankbar. Er wollte sie auf eine ungeschlachte, zwingende Weise, die ihn bis ins Mark erfüllte. Sie wußte, daß er nachts von ihr träumte und ein Bild von ihr vor dem geistigen Auge hatte, wenn er wach war. Und sie paßten auf seltsame und befriedigende Weise zusammen.
    Solche Gedanken waren gefährlich. Wie konnte jemand bei klarem Verstand den jungen, vitalen Dick Neff gegen einen verbrauchten alten Mann wie Wilson eintauschen wollen? Nun, sie dachte in letzter Zeit immer häufiger darüber nach.
    Es läutete an der Tür, und wenige Augenblicke später aßen sie Pizza. »Immer noch mürrisch, Doc?« wandte sich Becky an Ferguson. Er war in einer ungesunden düsteren Stimmung, und sie versuchte, ihn aufzurütteln.
    »Ich bin nicht mürrisch. Nur nachdenklich.«
    »Wie ein Soldat vor der großen Schlacht«, sagte Wilson. »Wie ich heute nachmittag.«
    »Das kann ich nicht sagen, ich war nie in einer Schlacht. Sagen wir einfach, es ist nicht meine Vorstellung von der mir gemäßen Rolle, die halbe Nacht dort oben auf dem Dach zu sitzen.«
    »Sie würden lieber auf die Straße hinuntergehen und sich umbringen lassen.«
    »Wir kennen ihre Fähigkeiten nicht, aber ich glaube, ich verfüge über die Mittel, mit ihnen zu kommunizieren. Auf dem Dach werden Sie in Gefahr sein, sobald sie Sie bemerken. Sie sind versteckt und werden daher als Bedrohung

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