Wolfsbrut
Ferguson.
»Dick hat recht«, sagte sie rasch, »sprechen wir nicht darüber. Ich muß sowieso in zehn Minuten hoch, und damit ist genug gesagt.«
»Okay«, sagte Dick nach einer Weile. Ferguson sah nervös auf die Uhr und schwieg.
Sie ging ins Schlafzimmer und zog einen Anorak über den dicken Pullover, dann wickelte sie sich einen Kaschmirschal um den Hals und schlüpfte in einen Wollmantel. Sie zog Fellhandschuhe an und steckte einen elektrischen Taschenwärmer in die Jacke. Sie hatte bereits drei Paar Socken und Schneestiefel an. Sie zog eine Wollmütze auf und eine Pelzmütze darüber.
»Mein Gott«, sagte Wilson, »in dem Aufzug siehst du wie ein Bergsteiger aus.«
»Ich muß zweieinhalb Stunden in dem Wind aushalten.«
»Ich weiß, ich sage ja gar nichts. Überprüfen wir die Funkgeräte.«
Die Sorge in seinen Augen rührte sie zutiefst. Er schaltete ein Gerät ein, dann das andere, und als sie beide eingeschaltet waren, ertönte ein Pfeifen. »Gut«, sagte er. »Ich werde hier in der Nähe des Balkons sein. So lange ich nicht zu weit in die Wohnung gehe und du in der Nähe des Dachrands bleibst, dürften wir einen guten Empfang haben. Hast du die Signale im Kopf?«
»Alle fünf Minuten ein Piepton. Zwei wenn ich sprechen will. Drei wenn ich Hilfe brauche.« Anstatt zu sprechen, wollten sie sich weitgehend damit begnügen, den Mikrofonknopf zu drücken. Das würde den Geräuschpegel senken.
»Richtig. Aber sag etwas, wenn du oben bist, und kurz bevor du herunterkommst.« Er sah über ihre Schulter. Dick justierte die Kamera, Ferguson sah zum Fernseher. »Komm näher«, sagte Wilson leise. Sie stand ihm direkt gegenüber, und er küßte sie lange auf den Mund. »Ich hab' dich verdammt lieb«, sagte er. Sie lächelte ihn an, legte den Finger an die Lippen, drehte sich um und ging ins Eßzimmer. Sie war froh; er schien einen Teil seiner üblichen Stärke wiederzuhaben.
»Kamera in Ordnung«, sagte Dick. »Laß sie um Gottes willen nicht vom Dach fallen. Wenn ich dieses Ding nicht unversehrt zurückbringe, wird es mich den Kopf kosten.«
Sie nahm sie ihm ab und trug sie mit beiden Händen. Unter einen Arm hatte sie eine Thermoskanne mit heißem Kaffee geklemmt.
»Einen Moment, Kindchen«, sagte er. »Fehlt nicht etwas?«
»Wenn du die Ingram meinst, die nehme ich nicht mit.«
»Das wirst du verdammt noch mal schon tun.« Er ging ins Wohnzimmer und nahm sie aus der Schachtel, die Wilson mitgebracht hatte. »Sie paßt hervorragend unter den Mantel. Nimm sie.«
»Ich habe meine Achtunddreißiger. Ich will die Ingram nicht.«
»Nimm das verfluchte Ding, Becky!«
Sie nahm sie ihm ab. Sein Mund zitterte, als er sie ihr gab. Sie sagten nichts; es gab nichts mehr zu sagen.
Die drei Männer begleiteten sie zum Fahrstuhl. Es war unwahrscheinlich, daß ihnen im Fahrstuhl jemand begegnete, aber falls doch, würde Beckys Ausstattung unter vier Menschen nicht so sehr auffallen.
Der Fahrstuhl fuhr ohne Unterbrechung zum dreißigsten Stock. Alle vier stiegen aus. Sie traten durch die grau gestrichene Tür ins Treppenhaus. Oben konnte man den Wind hören, der gegen die Tür zum Dach blies. Becky ging die Treppe hinauf, gefolgt von Wilson und Dick. Ferguson blieb unten.
»Okay, Kindchen«, sagte Wilson und machte die Tür auf. Sie ging nach Norden, und kaum hatte er sie aufgemacht, wehte eine heftige Bö eiskalter Luft herein. Becky spürte sie unter der dicken Kleidung kaum. Sie trat aufs Dach hinaus - und wäre um ein Haar gestürzt. Hier oben war der Schnee geschmolzen und danach zu einer Eisschicht gefroren. Sie hielt sich am Türrahmen fest und sah zu den Männern hinunter, die auf den Stufen hinter ihr kauerten. »Verdammt glatt«, rief sie durch das Heulen des Windes.
»Schaffst du's?« brüllte Wilson zurück.
»Auf allen Vieren.«
»Was war das?«
»Auf allen Vieren.« Und damit stieß sie die Tür zu. Sie war sofort in eine dunkle und fremde Welt versetzt. Der Wind beutelte sie, und sie verlor mit jeder Bewegung den Halt auf dem Eis. Das Dach war flach, es wurde lediglich von dieser Tür und einem nicht weit entfernten Kasten unterbrochen, in dem sich der Fahrstuhlmotor befand. Das Gebäude war groß, das Dach weiträumig, an einer Seite etwa dreißig Meter breit. Die etwa quadratische Fläche war mit Schotter belegt, wodurch das Eis ungleichmäßig gefroren und noch schwerer zu überqueren war. Wenn sie stehenblieb, bewegte der Wind sie mit seiner Wucht und zwang sie, sich gegen ihn zu lehnen und
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