Wolfsfalle: Tannenbergs fünfter Fall
anschließenden, überaus beklemmenden Stille beherrscht worden wäre, wenn nicht bereits Sekunden nach Tannenbergs angstgetränkter Aussage sein Mitarbeiter Adalbert Fouquet das Kommissariat betreten hätte.
»Gott sei Dank, Wolf, da bist du ja. Bin ich froh!«, begrüßte er ihn. »Die wollten dich doch tatsächlich vorhin schon zur Fahndung ausschreiben.«
Tannenberg reagierte mit entgeisterter Mimik. »Wer? Warum?«
»Hollerbach und Eberle. Die sind auf hundertachzig! Wir haben nur eine Stunde bekommen, um dich zu suchen.«
»Aber warum machen die denn so eine Hektik? Ich renne denen doch nicht weg.«
Fouquet warf einen hektischen Blick auf seine Armbanduhr. »Die Zeit ist jetzt gleich um. Los, mach schon, beeil dich! Wir sollen dich sofort in Eberles Zimmer bringen.«
Tannenberg öffnete die Tür von Kriminaldirektor Eberles Büro. Seine stumm an einem Konferenztisch sitzenden Kollegen grüßte er mit einem kurzen Nicken.
»Guten Morgen, Herr ...«
Weiter kam er nicht, denn Dr. Hollerbach hatte ihn kaum wahrgenommen, da begann er auch schon erregt auf ihn einzuschimpfen: »Sagen Sie mal, sind Sie denn wahnsinnig geworden?«
»Wieso?«
»Wie konnten Sie denn auf diese irrwitzige Idee kommen, heute Morgen aus dem Klinikum zu flüchten?«
»Aber …«
»Nichts aber!« Der Oberstaatsanwalt baute sich drohend vor Tannenberg auf. »Damit reiten Sie sich doch nur noch tiefer rein.«
»Wo rein?«
Dr. Hollerbachs Augen funkelten vor Zorn. Er hatte große Mühe, seine aufwallenden Emotionen wenigstens einigermaßen unter Kontrolle zu halten.
»Während Sie im Krankenhaus Ihren Rausch ausgeschlafen haben, haben wir die ganze Nacht über kein Auge zugemacht.« Seine Stimme überschlug sich. »Weil wir mit Hochdruck daran gearbeitet haben, Sie von einem möglichen Tatverdacht zu befreien«, schmetterte der ranghöchste Vertreter der Kaiserslauterer Staatsanwaltschaft wütend in den Raum hinein.
Tannenberg wurde erneut von einem plötzlichen Schwindelgefühl befallen. Heftig nach Atem ringend ließ er sich auf dem nächsten erreichbaren Stuhl niedersinken.
»Tatverdacht?«, keuchte er.
»Ja, falls Sie es noch immer nicht kapiert haben: Sie stehen unter Tatverdacht! – Und wissen Sie, wie unser Zwischenergebnis lautet?« Der Oberstaatsanwalt schloss die Augen und ließ seinen Kopf wild hin- und herpendeln. »Wir haben nichts, aber auch gar nichts gefunden, was Sie von einem Tatverdacht befreien könnte. Nicht ein entlastendes Indiz, nicht eins. Dafür aber eine Menge be-las-ten-der Indizien!«
Fassungslos schüttelte Tannenberg den Kopf. »Ich versteh das alles nicht. Ich versteh’s einfach nicht. Warum kann ich mich denn nicht erinnern?«
»Was ist denn das Letzte, an das Sie sich erinnern können, Herr Hauptkommissar?«, fragte Kriminaldirektor Eberle mit bedeutend ruhigerer Stimme als der erzürnte Oberstaatsanwalt.
»Ich weiß nur noch, dass ich eine SMS von Leonie bekommen habe und dann in diese verdammte Wohnung rein bin. Und von da an ist alles in mir dunkel. Das Nächste, an das ich mich erinnern kann, ist das Bild von Krummenacker, wie er vor mir kniet.«
»Und dazwischen nichts?«, fragte Eberle.
»Nein, nichts. Absolut nichts! Alles rabenschwarz!«
»Also, dann ziehen wir jetzt einmal ganz nüchtern eine objektive Zwischenbilanz«, verkündete Eberle, der allem Anschein nach versuchte, auf Dr. Hollerbachs grenzenlosen Unmut mäßigend einzuwirken. »In Ordnung, Tannenberg?«
Der Leiter des K1 bekundete mit einem stummen Kopfnicken sein Einverständnis.
»Gut. Zunächst einmal müssen wir Folgendes festhalten: Der vorläufige rechtsmedizinische Befund besagt, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Studentin Leonie Kalkbrenner keinen Selbstmord begangen hat.«
Kriminaldirektor Eberle zog einen dünnen Ordner vom Tisch, las kurz darin und sagte anschließend: »Ja, da steht’s: Hämatome an den Oberarmen und an einem der Oberschenkel, die keinesfalls Folge des Sturzes sind usw. – Mit anderen Worten, Tannenberg: Es liegt eindeutig Fremdeinwirkung vor.«
»Fragt sich nur von wem«, warf der Oberstaatsanwalt mit unverminderter Schärfe in der Stimme dazwischen.
»Richtig. Konzentrieren wir uns also auf die vorliegenden Fakten. Erstens: Es gibt keine Tatzeugen. Jedenfalls haben wir bis jetzt noch niemanden gefunden, der irgendetwas gesehen hätte.«
»Aber, Herr Kriminaldirektor ...«
»Lassen Sie mich bitte ausreden, Tannenberg«, unterbrach Eberle. »Aber Sie waren in
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