Wolfsfalle: Tannenbergs fünfter Fall
zu Hause meine Jacke ausgezogen habe, steckte es plötzlich in einer Innentasche.«
»Also, Wolf, wenn ich dich nicht so gut kennen würde, wie ich es nunmal tue, würde ich jetzt glauben, dass du unter ausgeprägtem Verfolgungswahn leidest. Komm, wir schauen mal im Internet nach, was wir da über diesen Hobbes und seinen Leviathan finden.«
Sie nahm ihn an der Hand, zog ihn in Richtung ihres Arbeitszimmers. »Vielleicht entdecken wir dabei ja auch irgendeinen Anhaltspunkt, der ein wenig Licht in diese höchst mysteriöse Angelegenheit bringt.«
Während Eva ihren PC hochfuhr, nahm Tannenberg die Abbildung auf der Vorderseite des Reclamheftchens ein wenig genauer unter die Lupe: Im Vordergrund des auf dem Einband abgebildeten und mit dem Jahre 1651 datierten Kupferstichs konnte man eine in eine hügelige Landschaft eingebettete Stadt erkennen, die optisch von einem kathedralenähnlichen Gebäude dominiert wurde.
Hinter den mit Burgen und Schlössern besetzten Bergen thronte eine männliche Riesengestalt, die eine Krone auf dem lockigen Haupte trug und die in der einen Hand ein Schwert, in der anderen einen zepterähnlichen Stock hielt. Das Ungewöhnlichste an diesem überdimensionalen Herrscherbildnis waren allerdings die ohne Lücke aneinander gezeichneten Miniaturmenschen, die den gesamten Körper wie großflächige Tätowierungen bedeckten.
Tannenberg drehte das Buch auf die Rückseite und las ein aufgedrucktes Zitat, dessen nebulöser Inhalt sich ihm allerdings auf den ersten Blick nicht erschließen wollte.
Eva war bei ihrer Recherche inzwischen fündig geworden.
»Da, ich hab was!«, rief sie freudig aus.
Tannenberg wandte sich zum Monitor hin und begann sogleich damit, sich selbst murmelnd vorzulesen: »Thomas Hobbes’ berühmtester Ausspruch ist der Satz ›homo homini lupus‹ (›Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf‹).«
»Lupus – der Wolf und dein gleichlautender Name. Da haben wir ja schon einen Zusammenhang mit dir!«, warf Eva mit schnell hervorgestoßenen Worten ein.
Ohne sich zu ihr umzublicken und die Bemerkung aufzugreifen, klebten Tannenbergs Augen weiter gebannt auf dem Bildschirm.
»Dieser Satz bringt sein Menschenbild prägnant auf den Punkt«, las er weiter vor: »Der Mensch ist kein gutmütiges, geselliges Wesen, sondern ein Raubtier voller Bosheit und zerstörerischer Instinkte. In seiner grenzenlosen Machtgier lässt er sich von keinem Gesetz oder staatlichen Zwang aufhalten. Er betrachtet die anderen Menschen als seine natürlichen Feinde. Dieser destruktive Selbsterhaltungstrieb mündet zwangsläufig in einen Krieg aller gegen alle.«
»Krieg aller gegen alle«, sagte Eva mehr zu sich selbst.
»Ja, steht ja da«, blaffte Tannenberg zurück. »In diesem Kriegszustand muss jeder einzelne Mensch ständig die anderen Menschen fürchten. Das einzige Mittel, um diese für alle unbefriedigende Situation dauerhaft zu verändern, besteht in der Schaffung eines gemeinsamen Staates, der allerdings von einem mit grenzenloser Macht ausgestatteten Herrscher oder Rat regiert wird. Dieser Staat funktioniert nach dem Motto ›Ich übergebe mein Recht, mich selbst zu regieren, diesem Menschen oder dieser Versammlung unter der Bedingung, dass du ebenfalls dein Recht über dich ihm oder ihr abtretest‹. Dieses Gebilde nennt Hobbes Leviathan.«
An dieser Stelle brach Tannenberg ab, blickte verständnislos zu Eva hin. »Und was hat das alles verdammt nochmal mit mir zu tun? Außer diesem an den Haaren herbeigezogenen Wolf-Schwachsinn.«
Die Kriminalpsychologin antwortete nicht auf diese Spitze, sondern starrte weiter fasziniert auf den Bildschirm. Nun übernahm sie den Part der Vorleserin: »Der Name ›Leviathan‹ stammt aus dem Alten Testament. Er bezeichnet dort ein schreckliches Ungeheuer. Hobbes überträgt nun diese allmächtige, furchtlose biblische Figur auf die menschliche Gesellschaft. Nur ein starker Herrscher ist demnach in der Lage, die von Natur aus grausamen, habgierigen, egoistischen Menschen vor der drohenden Selbstzerstörung zu bewahren. Und zwar dadurch, dass er ganz alleine festlegt, was als Recht und Moral zu gelten hat. – Ganz schön starker Tobak, kann ich da nur sagen.«
»Aber warum steckt mir das jemand ...« Tannenberg nagte nervös auf seinen Lippen herum, durchfurchte sich die Haare. »Was heißt hier jemand – der oder die Mörder – in die Jacke?«
»Na ja, wahrscheinlich um dir symbolisch seine grenzenlose Macht zu demonstrieren.«
»Aber
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