Wolfsfalle: Tannenbergs fünfter Fall
verließ fliegenden Schrittes die Wohnung.
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Wolfram Tannenbergs bereits vor einigen Jahren verstorbene Ehefrau Lea hatte Mitte der 70er-Jahre in Mainz mit ihrem Medizinstudium begonnen. So oft es sein Dienstplan ermöglichte, war er damals zu ihr gefahren und hatte sie in ihrer Wohngemeinschaft besucht. Nach den langen, mit endlosen Diskussionen verbrachten Nächten hatten sie zwecks dringend benötigter Regeneration im Verlauf des darauffolgenden Tages regelmäßige Streifzüge durch die nähere Umgebung unternommen.
Folglich fand sich Tannenberg hier in der Gegend noch immer sehr gut zurecht. Deshalb erreichte er auch ohne größere Orientierungsprobleme am späten Nachmittag dieses ereignisreichen Frühsommertags den vereinbarten Treffpunkt: die in den südöstlichen Ausläufern des Hunsrücks gelegene Stromburg.
Als er ein paar Stunden zuvor seine Familie über die dramatischen Ereignisse und seine kurz bevorstehende Flucht informierte, hielt sich zufällig auch Mariekes Freund Max in der Parterrewohnung der Senioren auf. Natürlich zeigte auch er sich zunächst fassungslos, als er von dem Tatverdacht gegenüber Tannenberg und dessen drohender Inhaftierung erfuhr. Aber im Gegensatz zur Familie des Kriminalbeamten, die verständlicherweise sehr emotional reagierte und psychisch völlig gelähmt schien, erholte sich Max recht schnell von seinem kurzzeitigen Schockzustand.
Seine Gedanken beschäftigten sich fortan mit der Frage, auf welche Weise er Tannenberg wohl am Besten helfen könnte. Für Max hatte diese uneingeschränkte Hilfsbereitschaft den Charakter einer regelrechten Zwangshandlung. Mit anderen Worten: er musste ihm einfach helfen. Nicht nur, weil Tannenberg vor zwei Jahren für ihn sein Leben riskiert und ihn quasi in letzter Minute aus den Händen einer skrupellosen Organmafia befreit hatte, nein, auch deshalb, weil er sich diesem ebenso kantigen wie liebenswerten Menschen inzwischen extrem zugetan fühlte.
Obwohl ihn seine Familie stark bedrängte, war Wolfram Tannenberg nicht bereit gewesen, ihnen von seinen konkreten Fluchtplänen zu erzählen. Aus Sicherheitsgründen, wie er sagte. Es dürfe niemand aus seinem direkten persönlichen Umfeld wissen, wohin ihn seine Reise führen würde.
Als altgedienter Kriminalbeamter wusste Tannenberg selbstverständlich, dass die gegen ihn ermittelnden Beamten schon sehr bald alle technischen Möglichkeiten zu seiner telefonischen Überwachung einsetzen würden. Damit existierte für ihn ein gewaltiges Kommunikationsproblem, was ihm zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht bewusst war.
Maximilian Heidenreich dagegen hatte dieses Problem sofort intuitiv erkannt. Er musste nicht lange über dieses Thema nachgrübeln. Schon bald hatte er die Lösung parat – und auch sogleich in die Tat umgesetzt: Als Tannenberg nämlich Mariekes Scooter in die Parkstraße schob, eilte er ihm nach und überreichte ihm sein Handy. Er versprach Tannenberg, sich ein neues Handy zu kaufen und ihn damit anzurufen. Durch diese geniale Idee existierte nun zwischen den beiden Männern eine direkte, quasi abhörsichere Kontaktmöglichkeit – und vor allem eine, von der niemand etwas wusste.
Benny de Vries wartete bereits über eine Stunde. Er saß auf einem Campingstuhl neben seinem Reisemobil. Direkt hinter ihm ragte der helle Torturm der Stromburg wie ein überdimensionierter mahnender Zeigefinger in den strahlendblauen Sommerhimmel empor. Der holländische Kriminalbeamte trug hellgraue Bermudas und ein eng anliegendes, pinkfarbenes T-Shirt, das seinen durchtrainierten Oberkörper mehr als nur erahnen ließ.
Tannenberg hatte ihn morgens von Maximilians Handy aus angerufen, ihm seine existenzbedrohenden Probleme geschildert und gefragt, ob er zu ihm kommen und dort für eine Weile untertauchen dürfe. Als Benny hörte, in welch enormen Schwierigkeiten sein alter Freund steckte, hatte er ihm sofort seine uneingeschränkte Hilfsbereitschaft signalisiert und sich daraufhin umgehend bei seiner Dienststelle in Venlo aus dringenden familiären Gründen, wie er es genannt hatte, beurlauben lassen.
Der unter Mordverdacht geratene und suspendierte Leiter des K1 hatte die Stromburg als Treffpunkt vorgeschlagen. Er hatte Benny gesagt, dass dieser einfach auf der A 61 über Koblenz in Richtung Bingen fahren und die Autobahn an der Ausfahrt Stromberg verlassen solle. Von dort aus sei der Weg hoch zu der über der Stadt majestätisch thronenden Burg sehr gut ausgeschildert. Benny
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