Wolfsfalle: Tannenbergs fünfter Fall
Motorradhelm? Wozu denn das?«
»Weil wir jetzt einen kleinen Ausflug mit Mariekes Roller machen. Und da wäre es eben besser, wenn auch du einen Helm tragen würdest.«
»Interessant! Und wohin fahren wir?«
»Aber Benny, das ist doch jetzt wirklich nicht mehr schwer zu erraten, oder?«
»Ich hab’s: an einen See.«
»Hundert Punkte!«
»Gute Idee. Wolf, klapp mal die Sitzbank auf. Da liegt mein Helm drin. Wir Holländer fahren zwar normalerweise nur mit Fahrrädern oder mit Wohnwägen durch die Gegend. Aber der eine oder andere Kaaskop besitzt doch tatsächlich einen Scooter, den manche von uns sogar mit auf die Reise nehmen.«
»Logo! Deswegen ja auch der Gepäckträger.« Tannenberg schlug sich ohne nachzudenken an die Stirn. »Verdammtes Kopfweh!«, fluchte er sofort los.
»Dagegen hab ich was. Schau mal rechts unten im Kühlschrank nach.«
Tannenberg entdeckte an der angegebenen Stelle eine Flasche Grappa, die er ebenfalls flugs verstaute. Dann warf er Benny den Helm zu und schob sich seinen eigenen auf den schmerzenden Schädel. Anschließend kletterte auch er aus dem Reisemobil. Mit ein paar geschickten Handgriffen waren die Arretierungen gelöst und der Roller auf den Boden gehievt. Tannenberg startete den Scooter, während Benny sich den Rucksack überstreifte.
Als die beiden Männer mit ihrem feuerroten Motorroller losfuhren, dämmerte es bereits. Die schmale Asphaltstraße ging schon nach wenigen Metern in einen aschgrauen Schotterweg über. Tannenberg hatte seine liebe Mühe, den vielen Schlaglöchern auszuweichen und den Scooter sicher über den holprigen, losen Steinbelag zu manövrieren.
Den fernab der Durchgangsstraßen im malerischen Aschbachtal gelegenen Jagdhausweiher hatte Tannenberg ganz anders in Erinnerung gehabt: viel größer und romantischer. Enttäuscht bedachte er das tümpelähnliche Gewässer mit seiner schmutzigbraunen Brühe lediglich mit einem abschätzigen Blick.
Er stoppte den Roller, nahm seinen Helm ab und wandte sich zu seinem Sozius um, der gerade auf seinem Arm eine Bremse erschlug. »Das bringt’s hier nicht. Wir fahren ein Stück weiter den Berg hoch.«
Plötzlich hörte er in unmittelbarer Kopfnähe das Surren einer sich gerade auf ihn herabstürzenden Stechmücke. Schnell zog er den Integralhelm auf und gab Vollgas. Zwar musste sich der Scooter mächtig anstrengen, um die beiden gewichtigen Männer die Anhöhe hinauf zum Rambachbrunnen zu transportieren, aber nach ein paar Minuten Schwerstarbeit war es endlich geschafft.
Großzügig gewährte Benny seinem Freund den Vortritt zu der von bemoosten Sandsteinquadern eingefassten Bergquelle. Tannenberg entledigte sich geschwind seiner Schuhe und Strümpfe, stieg vorsichtig auf den nassen, glitschigen Felsen, auf den das Quellwasser ohne Unterlass herniederprasselte. Er bildete mit seinen Handinnenflächen eine Schöpfkelle, die er mehrmals mit eiskaltem, klarem Wasser vollaufen ließ und benässte damit Gesicht, Kopf und Genick. Anschließend wusch er sich die Arme, bevor er zum Abschluss seinen ganzen Kopf unter den Wasserstrahl hielt.
»Ist das herrlich!«, prustete er begeistert. »Los, komm, jetzt bist du dran.«
Nachdem auch Benny de Vries sich erfrischt hatte, fuhren die beiden Freunde zu einer, nur ein paar hundert Meter von dieser Brunnenanlage entfernten Sitzbank, von der aus man normalerweise einen herrlichen Blick auf den östlichen Bereich des Aschbachtal genießen konnte.
Die bereits fortgeschrittene Abenddämmerung ließ diese beeindruckende Aussicht allerdings nur noch erahnen. Jedoch reichten die eingeschränkten Lichtverhältnisse völlig aus, um in aller Ruhe die mitgebrachten Speisen und Getränke zu verzehren. Dabei ließen sich die ausgehungerten Vesperer weder von fehlenden Gläsern oder Tellern noch von dem nicht vorhandenen Essbesteck ihren Sinnengenuss trüben.
Inzwischen war es fast Mitternacht geworden. Die beiden Flaschen Barbera lagen leer auf dem Waldboden, der Grappa stand angebrochen auf der Holzbank. Das Thema ›Wolfsfalle‹ wurde, nachdem es nochmals ausführlich erörtert worden war, auf den folgenden Morgen vertagt.
Je mehr Alkohol die beiden konsumierten, umso wortkarger wurden sie. Entweder blickten sie schweigend über die dunklen Baumwipfel hinweg in das eingeschwärzte Tal oder sie tauchten für eine Weile in die unendlichen Weiten des von fahlem Mondlicht beschienenen, sternenfunkelnden Himmelsgewölbes ein.
Als Benny eine Sternschnuppe am Horizont aufglimmen
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