Wolfsfalle: Tannenbergs fünfter Fall
Kriminalbeamte schluckte so hart, wie wenn ihm etwas Sperriges in der Kehle steckte. Er schnappte sich die Grappaflasche und nahm einen tiefen Schluck.
»Dieses Mal entkommst du mir nicht! Ich will es jetzt von dir wissen: Was macht die Liebe, mijnheer Commissar?«
»Frauengeschichten«, wiederholte Tannenberg mit sich überschlagender Stimme. Anschließend ließ er den Überdruck so heftig aus seinen Lungen entweichen, dass er mit diesem enormen Atemstoß garantiert alle Kerzen seiner Geburtstagstorte hätte ausblasen können.
Er nahm einen weiteren kräftigen Schluck aus der Grappaflasche, begleitete gedanklich den hochprozentigen, einen leicht brennenden Wundschmerz verursachenden Tresterschnaps auf dem Weg über die rebellierenden Schleimhäute hinunter in seinen Magen. Ohne zu antworten stierte er hinunter ins Tal.
»Los, fang jetzt endlich an!«, drängte Benny. »Ich will heute Nacht auch noch irgendwann mal ein bisschen schlafen.«
»Und wo soll ich anfangen?«, fragte Tannenberg pro forma nach, obwohl er noch immer nicht die geringste Lust hatte, sich zu diesem Thema zu äußern.
»Mann, stellst du dich so an. Zum Beispiel bei deiner Kriminalpsychologin.«
»Bei meiner Kriminalpsychologin«, äffte Tannenberg seinen holländischen Freund nach, wobei er recht stümperhaft versuchte, dessen landestypischen Akzent nachzuahmen. »Mit der läuft doch überhaupt nichts. Wir sind gute Freunde, mehr aber auch nicht. Außerdem hat die doch garantiert was mit Friedrich, diesem LKA-Beamten.«
»Hör ich da nicht gerade ein bisschen Eifersucht heraus?«
»Quatsch, wir sind wirklich nur gute Freunde.«
Aber Benny ließ nicht locker. »Na gut. Und sonst?«, drängte er weiter.
Man merkte Tannenberg deutlich an, dass er nicht willens war, sich weitergehend mit dieser Frage zu beschäftigen. »Ich hab jetzt einfach keine Lust auf diesen Kram. Ich hab im Moment wirklich andere Probleme.«
»Komm, stell dich nicht so an!«
Tannenberg drehte seinen Kopf ein wenig zu Benny hin, schaute ihn aus den Lidwinkeln heraus an. »Weißt du eigentlich, dass du mich die ganze Zeit über noch nicht ein einziges Mal gefragt hast, ob ich nicht doch die Tat bzw. die Taten begangen habe?«
»Mann, Wolf, das liegt daran, weil ich es nicht brauche. Das weiß ich einfach. – Aber du versuchst gerade schon wieder abzulenken.« Benny hob seinen linken Arm, streckte seinen Zeigefinger aus, richtete ihn auf Tannenberg, fixierte ihn dabei mit einem festen Blick. »Da gibts doch noch diese Frau, von der du mir vor einem Jahr bei meinem ersten Besuch bei euch hier unten andauernd vorgeschwärmt hast.«
»Andauernd? Blödsinn!«
»Doch, doch! Ich weiß das noch ganz genau. Du hast gesagt, dass sie dich von ihrem Aussehen her unheimlich an deine verstorbene Frau erinnert. Hatte die nicht in so ’ner Computerfirma gearbeitet, die mit einem Fall von dir zu tun hatte? Wie hieß diese Frau gleich noch mal?«
»Ellen. Die heißt übrigens immer noch so. – Ach, was. Das war nur so eine Schwärmerei.«
»War?«
»Vielleicht ist es das ja auch noch so. Ich weiß es nicht.« Er stöhnte auf. Die Gedanken an Ellen Herdecke schienen ihn stark zu belasten. »Ich weiß es doch wirklich nicht.«
»Hast du dich in den letzten Tagen mal bei ihr gemeldet?«
»Nein. Sie ist zum Glück gerade mit ihren Kindern in Australien. Die machen dort ein paar Wochen Urlaub.« Er brach ab, schloss die Augen. »Eigentlich wollte ich während dieser Zeit mal intensiv darüber nachdenken, ob das alles überhaupt eine Zukunft hat. Ich meine, das mit uns beiden.«
»Warum?«
»Wir sind irgendwie zu verschieden: sie ist so unheimlich kulturgeil, so schöngeistig, so kontrolliert, so ...«
»Mann, bist du kompliziert!«, warf Benny dazwischen. »Denk doch einfach nicht so viel nach. Hör mehr auf deine Gefühle, auf deinen Bauch.« Er tippte Tannenberg an dessen Stirn. »Benutze dieses Ding nicht so oft. Lass dich einfach mal gehen.«
»Ach, Benny«, seufzte Tannenberg, »weißt du, in meinem Alter ist das alles nicht mehr so einfach wie in deinem. Es geht nicht mehr so locker wie früher. Jetzt ist alles viel komplizierter. Jeder hat seine eigenen Erfahrungen im Laufe seines Lebens gesammelt. Man wird vorsichtiger, aber auch verschrobener, man ist nicht mehr so anpassungsfähig – und auch nicht mehr so anpassungswillig.«
»Wolf, ich bin zwar durchaus ein paar Jahre jünger als du, aber ich kenne das auch. Bei einigen unserer Bekannten ist das nicht viel
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