Wolfsfalle: Tannenbergs fünfter Fall
kurz vor der L 503 stoppte er den Scooter und warf einen letzten Blick hinüber zu dem von mehreren Halogenstrahlern in gleißendes Licht getauchten, ehemaligen Reisemobil. Eine dicke Schaumschicht bedeckt die Überreste des Luxus-Campingbusses. Die meisten der Feuerwehrleute hatten sich von dem Reisemobil abgewandt und kämpften nun gegen die Ausbreitung des Feuers in dem trockenen Sommerwald an.
Als Wolfram Tannenberg hinter diesem gespenstischen Szenario einen mit Blaulicht und Sirenengeheul heranrasenden Streifenwagen entdeckte, schleuderte er ihm in einer spontanen Trotzreaktion den ausgestreckten Mittelfinger entgegen.
Ihm war klar, dass er in seinem angetrunkenen Zustand keinerlei Aufmerksamkeit erregen durfte. Deshalb entschied er sich dazu, für seine Fahrt zu dem von ihm als Unterschlupf auserkorenen Versteck nicht die weitaus komfortablere Landstraße zu benutzen, sondern sicherheitshalber im Wald zu bleiben.
Schon nach ein paar hundert Metern hatte er sein Ziel erreicht: die nördlich der Gemeinde Stelzenberg gelegenen Höhlen. Da er früher mit Lea oft von der Alten Schmelz aus über diesen Höhenweg zum Naturfreundehaus im Finsterbrunnertal gewandert war, kannte er sich in dieser Gegend so gut aus, dass er sogar bei Nacht die etwas abseits des Wanderpfades und ziemlich versteckt an einem steilen Berghang gelegenen Sandsteinhöhlen fand.
Er stieg vom Roller und lehnte ihn an eine mächtige Buche. Anschließend zog er seinen Rucksack ab, suchte seine Taschenlampe und leuchtete damit kurz in Richtung der größten Höhle, konnte sie aber auf den ersten Blick nicht entdecken.
Urplötzlich wurde er von einem überfallsartigen Schlafbedürfnis überrumpelt. Er legte sogleich sein ursprünglich gefasstes Vorhaben, die Nacht in der Höhle zu verbringen, ad acta. So wie er war, bettete er sich einfach neben dem Scooter auf den mit einer dicken Laubschicht bedeckten Waldboden. Seinen Rucksack benutzte er als Kopfkissen.
Nach einem traumlosen Erschöpfungsschlaf wurde Tannenberg in den frühen Morgenstunden von einem Waldameisen-Spähtrupp geweckt, der in den ersten wärmenden Sonnenstrahlen eine Erkundungsexpedition zu dieser etwa fünf Meter von ihrem Domizil entfernt liegenden Riesengestalt unternahm.
Im ersten Moment war er völlig perplex, hatte keine Ahnung, wo er sich befand und wieso er im Wald und nicht zu Hause in seinem Bett aufwachte. Aber natürlich benötigte er kaum mehr als einen Augenblick, um sich die dramatischen Ereignisse der letzten Nacht in Erinnerung zu rufen.
Nachdem er die Ameisen angewidert von sich abgeschüttelt hatte, blickte er auf seine Armbanduhr: es war ziemlich genau 5 Uhr 30. Er drehte sich nach allen Richtungen um. Direkt neben ihm stand Mariekes feuerroter Scooter.
Der muss unbedingt weg!, schoss es ihm blitzartig ins Bewusstsein.
Nach ein paar Minuten hatte er den Roller den Abhang hinunter zu einer etwa ein Meter breiten und drei Meter langen, geländerlosen Holzbrücke geschoben, die nur ein paar Schritte von der Höhle entfernt, eine kleine Bodensenke überspannte. Obwohl ihre Querbretter dicht aneinandergefügt waren und man von oben den Scooter nicht erkennen konnte, verkleidete er die zum Tal hin gelegene, offene Seite sicherheitshalber noch mit Reisig und grünbelaubten Ästchen.
Anschließend ging er zurück auf den Weg und blickte sich erst einmal in aller Ruhe um. In dem von der aufgehenden Sonne unbeschienenen Tal waberten milchigtrübe Feuchtigkeitsschleier und hüllten die taubesetzte Wiesenlandschaft in diesiges Dämmerlicht.
Oben am Berg dagegen, dort wo Tannenberg stand, hatten die Sonne den Wald bereits in mildes Morgenlicht getaucht. An den Stellen, an denen die wärmenden Strahlen auf die Dunstschleier trafen, lösten sich die Nebeltröpfchen umgehend in Wasserdampf auf, der in dicken Schwaden in die Höhe quoll.
Die Stämme des älteren Mischwaldbestandes um ihn herum zerteilten das einfallende Sonnenlicht in scharf voneinander abgegrenzte Strahlenbündel, die man meinte einzeln mit den Händen greifen zu können. Links neben ihm auf dem festgetretenen, nahezu laublosen Waldweg hinterließ diese Mischung aus hellem Lichtschein und dem dunkleren Schattenwurf der Baumstämme ein Muster, das ihn unwillkürlich an die auf Lebensmitteln abgedruckten Scannerfelder erinnerte.
Regungslos und andächtig wohnte Tannenberg dieser eindrucksvollen Naturästhetik bei, ließ seine Augen in dem farbenprächtigen Wechselspiel der verschiedenen Grün- und
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