Wolfsfalle: Tannenbergs fünfter Fall
vermischt. Die Ränder des Hosenlochs klebten bereits daran fest.
Ich muss so schnell wie möglich die Wunde reinigen und desinfizieren. Sonst entzündet sich das alles noch und ich krieg vielleicht ’ne Blutvergiftung!, zog er für sich selbst die Schlussfolgerungen aus diesem unappetitlichen Anblick. Außerdem brauch ich dringend ’ne andere Hose. Aber woher?
Zuerst dachte er an seinen alten Schulkameraden Kai Bohnhorst, der in der Innenstadt eine Arztpraxis betrieb.
Quatsch! Wenn ich in dem Aufzug durch die Fußgängerzone marschiere, kann ich ja auch gleich ins Präsidium gehen. Außerdem ist Kai jetzt bestimmt nicht mehr in seiner Praxis. Und wo er wohnt, weiß ich nicht. Die Telefonnummer hab ich auch nicht. Verdammt! Sonst könnte ich mich ja auch irgendwo anders mit ihm treffen.
Plötzlich leuchteten auf seiner inneren Leinwand zwei Worte auf: ›Flocke‹ und ›Betzenberg‹.
Tannenberg wusste natürlich sofort, dass mit dieser Eingebung nicht das Fußballstadion des 1. FCK gemeint war, sondern das gleichnamige Wohngebiet, wo seine Sekretärin in der Spinozastraße eine kleine Eigentumswohnung besaß. Er war dort schon mehrfach zu Gast gewesen. Jedes Mal, wenn Petra Flockerzie mit einer neuen Diät ihr Gewicht mühevoll um ein paar Kilogramm reduziert hatte, lud sie anschließend ihre Kollegen zu einem kleinen Festschmaus ein.
Er konnte zu diesem Zeitpunkt natürlich nicht wissen, ob sich seine Mitarbeiterin überhaupt zu Hause aufhielt, schließlich war Samstag und Petra Flockerzie konnte sonstwo sein.
Obwohl er sicherlich nicht gerade erschöpfend über das Privatleben seiner Sekretärin informiert war, so glaubte er doch zu wissen, dass sie sich nach dem Tode ihres Mannes bislang nicht mit einem neuen Partner eingelassen hatte. Seinem bescheidenen Kenntnisstand zufolge pflegte sie allerdings einen großen Bekanntenkreis, mit dem sie regelmäßig Freizeitaktivitäten unternahm.
Um die Frage zu klären, ob sie zu Hause war, hätte natürlich ein Anruf genügt. Aber er war nicht im Besitz ihrer Telefonnummer. Und für eine Nachfrage bei der Fernsprechauskunft reichte die Kapazität des Akkus nicht mehr aus. Maximilians Handy hatte schon am Ende des kurzen Telefonats mit Sabrina durch schrille Piepstöne auf die Dringlichkeit einer umgehenden Ladung hingewiesen.
Als Tannenberg sich vom südöstlichen Stadtwald herkommend der Spinozastraße näherte, roch er bereits von weitem den urtypischen Geruch von gegrilltem Fleisch.
Sofort lief ihm das Wasser im Mund zusammen.
Jetzt ein gutes Steak, Salat und ein, zwei, drei kalte Gläser Weizenbier – hmh, was gäb ich jetzt dafür!
Hinter den eingezäunten Grundstücken hörte man Musik, johlende Kinderstimmen, laute Gespräche – mithin alles Anzeichen dafür, dass ausgelassene, fröhliche Menschen den bilderbuchmäßigen Sommertag im Kreise ihrer Familien und Freunde in vollen Zügen genossen.
Die verhalten sich so, als ob alles ganz normal wäre, dachte Tannenberg, während ein bitteres Lächeln seinen Mund umspielte. So, als ob sich hier in ihrer Stadt in jüngster Zeit überhaupt nichts Dramatisches ereignet hätte.
Als er die Häuser und Gärten in seiner näheren Umgebung mit hektischen Blicken sondierte, erinnerte er sich plötzlich an die Bemerkung eines ehemaligen Lehrers, die dieser einmal bei einem Klassentreffen hatte verlauten lassen: ›Wenn die Schüler wüssten, dass sie meistens nur deshalb beim Spicken erwischt werden, weil sie sich dabei so unglaublich auffällig verhalten, würden wir Lehrer es viel schwerer haben, ihnen auf die Schliche zu kommen. Also merkt euch Jungs: Wenn ihr irgendwann in eurem Leben noch einmal spicken müsst, dann benehmt euch dabei so, als ob es sich bei dem, was ihr gerade tut, um das Normalste auf der Welt handeln würde.‹
Damit hatte er vollkommen recht, der alte Herr, dachte Tannenberg bei sich. Das kann ich aus meiner eigenen Erfahrung nur bestätigen: Geschnappt werden von uns doch meistens nur die Verbrecher, die sich durch ihr auffälliges Verhalten selbst entlarven. Und denen man beim Verhör sofort anmerkt, und vor allem auch ansieht, dass sie lügen. Aber die ganz coolen ...
Also benahm er sich fortan genauso unauffällig wie ein Spaziergänger, der hier in der Nähe des Wildparks eine kleine Abendwanderung unternahm.
Eigentlich hatte er vor, sich über das direkt an den Wald grenzende, parkähnlich angelegte Gelände dem viergeschossigen Wohnblock zu nähern, in dem Petra Flockerzie im
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