Wolfsfalle: Tannenbergs fünfter Fall
eilte Fouquet mit seinem Vorgesetzten und dem Gerichtsmediziner über einen Schleichpfad zum Hintereingang des mehrstöckigen, schmucklosen Gebäudes.
Bereits im Treppenhaus des Seniorenheims stieg Tannenberg eine eigenartige Geruchskomposition in die Nase. Er hatte die einzelnen Bestandteile ziemlich schnell erschnüffelt. Es handelte sich dabei eindeutig um eine Mischung aus scharfen Reinigungsmitteln und Großküchenodeur – unterlegt mit einem allgegenwärtigen süßlich-modrigen Geruch, der ihm aus der Parterrewohnung seiner Eltern hinlänglich bekannt war.
Als Kommissar Fouquet die Zimmertür im 3. Obergeschoss öffnete, saßen der Senior der Familie Tannenberg und ein älterer Herr namens Bornschein gemeinsam schweigend am Tisch. Gleich nachdem die Tür aufgegangen war, erhoben sie sich von ihren Stühlen.
»Junge, Junge, was machst du bloß für Sachen«, begrüßte Jacob Tannenberg kopfschüttelnd seinen jüngsten Sohn.
Die Erleichterung darüber, dass sich sein Filius augenscheinlich bester Gesundheit erfreute, stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. Aber er getraute sich nicht, seine Emotionen offen zu zeigen. Deswegen begrüßte er seinen Sohn lediglich mit einem festen Handschlag.
»Vater, ich kann doch wirklich nichts dafür«, entgegnete Tannenberg, der die Hand seines Vaters gar nicht mehr loslassen wollte. »Ich bin absolut unschuldig an diesem ganzen verfluchten Kram.«
»Das glauben wir dir ja auch alle«, sagte Jacob.
Er drehte sich um und wies dabei mit ausgestrecktem Arm auf den etwa gleichaltrigen Mann, der seitlich versetzt hinter ihm stand. Der alte Herr war mit einem ausgebeulten grauen Jogginganzug bekleidet, der genauso verschlissen und armselig aussah wie dieser verwelkte Mensch selbst. An den Füßen trug er ausgefranste Filzpantoffeln.
»Das ist der Wilhelm Bornschein. Wir kennen uns von früher,« stellte Jacob seinen Bekannten vor.
Tannenberg schüttelte ihm kurz die Hand und forderte ihn auf, wieder am Tisch Platz zu nehmen. Da in diesem kleinen, trostlosen Zimmer lediglich zwei Stühle vorhanden waren, setzte sich Tannenberg dem alten Mann gegenüber, während die anderen stehen blieben.
Wilhelm Bornscheins Antlitz wurde von zwei dick aufgequollenen, prall gefüllten Tränensäcken dominiert, die unter nahezu wimpernlosen Augen den radikalen optischen Gegensatz zu der ansonsten extrem faltigen, gräulichen Gesichtshaut bildeten. Die zerfurchte Stirnpartie, über der nur noch ein spärlicher, silbergrauer Haarbesatz zu erkennen war, legte beredtes Zeugnis über ein leidvolles Leben ab. Der alte Mann hielt den Blick zur Tischplatte hin gesenkt und kratzte sich nervös am Arm. Die Angelegenheit schien ihm sehr unangenehm zu sein.
Seinem Gegenüber erging es nicht anders, wusste dieser doch aus eigener Erfahrung, wie leicht man es sich durch eine unbedachte Äußerung mit einem älteren Menschen verderben konnte. Er hatte in der Vergangenheit schon so oft erlebt, wie schnell sein Vater sich von ihm angegriffen, beleidigt oder veralbert gefühlt hatte. Jacob reagierte stets mit demselben Verhaltensmuster: Entweder verschanzte er sich grummelnd hinter seiner Zeitung und redete fortan mit niemandem mehr ein Wort oder er verzog sich wütend in sein Zimmer.
Wolfram Tannenberg zögerte. Er wusste allem Anschein nach nicht so recht, wo er bei seiner Befragung anfangen sollte. Schließlich handelte es sich bei dem, was er nun ansprechen musste, um ein an und für sich schon ziemlich heikles Thema. Und dann auch noch gegenüber einem alten Menschen ...
Fouquet schien die Unsicherheit seines Chefs intuitiv zu spüren. Er ging hin zu dem angespannt wirkenden Alten und legte ihm eine Hand auf die Schulter.
»Herr Bornschein, Sie brauchen wirklich keine Angst zu haben«, begann er mit ruhiger, freundlicher Stimme. »Was Sie uns jetzt sagen, bleibt unter uns. Wir sind nicht daran interessiert, dass von dem Hobby – wenn ich das mal so nennen darf –, mit dem Sie und Ihre Freunde sich hier abends die Zeit vertreiben, irgendjemand etwas erfährt. Das versprechen wir Ihnen.«
Tannenberg fand die Zusage seines jungen Kollegen zwar durchaus gewagt, aber er nickte trotzdem eifrig.
Nun hob der alte Mann langsam seinen Kopf, verengte dabei die Augen. Ein ängstlicher, gequälter Blick traf Tannenberg. Der legte daraufhin kurz seine Hand auf Bornscheins Arm, tätschelte ihn aufmunternd.
»Mein Kollege hat recht. Ihnen und Ihren Freunden passiert nichts. Dafür verbürge ich
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