Wolfsfeder
Ihnen auch nicht sagen. Sie
scheint unter Schock zu stehen und sagt nichts. Ihren Papieren nach kommt sie
aus der Dominikanischen Republik, wo man bekanntlich Spanisch spricht. Aber ich
kann kein Spanisch. Ich hab’s mit Englisch und Französisch probiert, aber ohne
Erfolg.«
»Gab’s denn Zeugen am Bahnhof?«
»Einen Hauptzeugen, ja.« Die Ärztin war
vor einer verschlossenen Tür stehen geblieben. »Der hat sich aber wohl
verdünnisiert, als die Sanitäter eintrafen. Ein Obdachloser mit Hund. Soll kurz
vor ihrem Kollaps mit ihr gesprochen haben.«
»Ein Obdachloser?« Strunz guckte
skeptisch. »Ein Penner, der Spanisch spricht? Und eine junge Frau, die
daraufhin umkippt? Das wird ja immer verrückter.«
»Sehen Sie?«, sagte die Ärztin und fasste
nach dem Türgriff. »Deswegen haben wir Sie angerufen. Jetzt können Sie ja mal
Ihr Glück probieren.«
* * *
Jo Kleinschmidt hockte im Auto
und blätterte lustlos im Handbuch des neuen Navigationsgeräts. Während Heiko
Strunz und Ellen Vogelsang die mysteriöse Unbekannte im Krankenhaus vernahmen,
hielt er draußen auf dem Parkplatz die Stellung. Unter anderem deshalb, um
telefonischen Kontakt zu Mendelski und Maike in Eschede zu halten, denn in der
Notaufnahme waren Handygespräche strikt untersagt.
Seine Gedanken beschäftigten sich jedoch
weder mit dem aktuellen Fall noch mit dem neuen Navigationsgerät. Stattdessen
träumte er von seiner verflossenen Liebe.
Die halbe Nacht hatte er wach gelegen und
sich das Hirn zermartert, wie er seine Susan zurückerobern könnte. Zigmal hatte
er nach dem Telefonhörer gegriffen, die Nummer, die er im Schlaf aufsagen
konnte, eingetippt – und es nicht fertiggebracht, die grüne Taste zu
drücken.
»Feigling, Feigling, Feigling!«, schalt er
sich selbst und schlug erbost, aber gleichzeitig auch recht hilflos auf das
Lenkrad des zivilen Dienstwagens ein.
Da bemerkte er Strunz, der allein quer
über den Parkplatz auf das Auto zugelaufen kam, mit dem Handy am Ohr. Kurz
bevor sein Kollege den Wagen erreichte, beendete er das Gespräch.
»Los schnell, fahr rüber zur Notaufnahme«,
rief er, nachdem er die Beifahrertür aufgerissen hatte, und stieg eilig ein.
»Was ist denn los?« Jo Kleinschmidt mochte
derlei Kommandos überhaupt nicht, schon gar nicht, wenn es ihm so dreckig ging
wie heute. Er zog es vor, dass man ihn einweihte und nicht als Befehlsempfänger
behandelte.
»Hab gerade mit Robert telefoniert«,
erwiderte Strunz, während er sich anschnallte. »Wir sollen sie hinbringen.«
»Wen – und wohin?«
»Mensch, Jo. Wo bist du denn mit deinen
Gedanken? Das Mädchen vom Bahnhof natürlich. Und nach Eschede sollen wir. Komm,
fahr endlich los. Ich erzähl’s dir unterwegs. Das ist vielleicht ‘ne Nummer!«
* * *
Es war fünfzehn Uhr.
Die Oktobersonne schien noch einmal mit
letzter Kraft auf das Kreinbrink’sche Anwesen, auf das riesige Bauernhaus und
die pittoresken Eichen. Auf dem Hof unter dem Dach der Bäume befanden sich
mehrere Autos, die kreuz und quer geparkt standen. Ein Streifenwagen der
Escheder Polizeistation war auch darunter. Die zu den Autos gehörenden Personen
hatten sich im hinteren Teil des Gartens zusammengefunden, dort, wo sich das
Blockhaus und der Swimmingpool befanden.
Binnen einer Stunde hatte Mendelski sie
alle zusammengetrommelt. Alle, die irgendwie mit Yadira Martinéz und ihrem
tragischen Ende zu tun hatten. Per Telefon und mit Nachdruck – er hatte gedroht,
jeden Einzelnen sonst von der uniformierten Polizei abholen zu lassen.
Konrad und Kai Kreinbrink standen mit Finn
Braukmann in der Nähe des Swimmingpools, etwas abseits schwiegen sich Irene
Hogreve, Karl-Heinz Jagau und Mark von Bartling an, der reichlich verunsicherte
Joachim Pagel wurde von zwei örtlichen Polizisten flankiert. Nur einer fehlte
entschuldigt, da er im Krankenhaus in Celle lag: Rolf Wiegand, der Gärtner.
Strunz und seine Begleiter, die aus Celle
dazustoßen sollten, waren noch nicht eingetroffen.
Widerstrebend gruppierten sich alle um die
Veranda des Blockhauses herum, nachdem Mendelski sie nachdrücklich dazu
aufgefordert hatte.
»Ich hoffe, Sie wissen, was Sie tun«,
echauffierte sich von Bartling. Er saß mit übereinandergeschlagenen Beinen in
einem der Korbsessel, die Frau Hogreve aus dem Blockhaus geholt hatte. »Bei mir
zu Hause wartet ministerieller Besuch aus Hannover.«
»Es liegt ganz an Ihnen, wie schnell wir
hier fertig sind«, erwiderte Mendelski unbeeindruckt. Dann wandte er
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