Wolfsfeder
Gesicht passen –
siehe postmortale Treib- oder Bergungsverletzungen.«
»Interessant«, sagte Steigenberger. »Das
hieße, die Leiche hätte eventuell längere Zeit in einem Fließgewässer gelegen
und dabei eine ordentliche Strecke zurückgelegt. Mir fällt dazu natürlich
sofort die Aller ein.«
»Diese Theorie hatten wir auch schon«,
entgegnete Mendelski. »Doch Frau Dr. Grote meinte, es könne auch jeder
kleine Heidebach in Betracht kommen.«
»Gab es heute Morgen schon Kontakte zu
Frau Dr. Grote?«
»Ja, die gab es«, rief Heiko Strunz. Er
schaute zu Mendelski hinüber. »Robert«, sagte er. »Du warst vorhin noch nicht
da, aber es gibt Neuigkeiten.« Er rückte seinen Stuhl zurecht. »Frau
Dr. Grote ist gestern Abend noch bis spät in die Nacht und heute schon in
aller Herrgottsfrühe recht fleißig gewesen. Sie hatte ja gesagt, bei
Wasserleichen müsse man sich beeilen.«
»Weiter«, forderte Mendelski ungeduldig.
Er spürte, denn er kannte Heiko und dessen Gebaren nur zu gut, dass es wichtige
Neuigkeiten gab.
»Erstens.« Strunz gab sich alle Mühe, auf
den Punkt zu kommen. »Yadira Martinéz ist durch das Eindringen einer
beträchtlichen Menge Wasser in die Atemwege und durch den daraus resultierenden
Sauerstoffmangel ums Leben gekommen. Kurz: Tod durch Ertrinken. Zweitens: Sie
hat mindestens sechs Stunden im Wasser gelegen. Das haben die Untersuchung der
Haut – siehe Waschhaut – und andere Faktoren ergeben.
Sichergestelltes Wasser aus dem Körperinneren und das Wasser, das gestern am
Fundort geborgen wurde, werden zurzeit im Labor analysiert. Drittens: Frau
Dr. Grote bleibt bei dem von ihr bereits gestern im Wald geschätzten
Todeszeitpunkt: um Mitternacht oder kurz danach, also circa zwölf bis vierzehn
Stunden vor dem Auffinden. Viertens: Die Flecken an den Händen und im Gesicht
sind alle von etwa gleicher Größe, nahezu kreisrund und nicht postmortal. Ich wiederhole:
nicht postmortal wie angenommen. Außerdem hat Frau Dr. Grote weitere
Hämatome, vor allem im Schulterbereich festgestellt. Es handelt sich also nicht
um Treibverletzungen oder dergleichen, sondern um Hämatome, die sich das
Mädchen wahrscheinlich kurz vor ihrem Ableben zugezogen haben muss.«
»Oder die ihr zugefügt worden sind«,
wandte Maike Schnur ein. »Das klingt doch viel plausibler, oder?«
»Scheint fast so«, sagte Ellen Vogelsang.
»Was wird jetzt aus unserer schönen Fließgewässergeschichte? Das war’s ja
wohl …«
»Dann eben doch die Fischteiche.« Jo
Kleinschmidt stupste Heiko Strunz an. »Wie hießen die noch gleich? Teiche am
Heidegut, Aschauteiche oder wie?«
»Ja, da gibt’s jede Menge von der Sorte.«
Heiko Strunz winkte ab. »Aber lasst mich erst mal den Bericht von Frau
Dr. Grote zu Ende bringen, bevor wir ans Eingemachte gehen.« Die anderen
stimmten wortlos zu.
»Fünftens: Es liegt eindeutig kein
Sexualdelikt vor. Das Mädchen war virgo intacta – also noch Jungfrau.«
»Gott sei Dank.« Maike war die
Erleichterung anzusehen.
»War’s das?« Steigenberger schaute fragend
auf Strunz.
»Im Moment ja. Für den frühen Nachmittag
hat Frau Dr. Grote weitere Ergebnisse angekündigt. Nachdem sie sich Lunge,
Magen, Blut et cetera genauer angeguckt hat.«
»Caramba!« ,
kommentierte Mendelski. »Das sind ja Neuigkeiten.« Er schrieb noch zu Ende und
erklärte dann: »Bevor wir aber in die Diskussion der ersten
Obduktionsergebnisse einsteigen, sollte ich mit meinem Bericht fortfahren,
oder?«
»Ganz genau«, pflichtete ihm Steigenberger
bei. »Immer schön der Reihe nach.«
* * *
Normalerweise verbrachte
Karl-Heinz Jagau seine Frühstückspause im Wald. Entweder in seinem Auto oder in
der mobilen Waldarbeiterschutzhütte, von Bartlings neuster Errungenschaft, die
dieser gebraucht und äußerst günstig vom benachbarten staatlichen Forstamt
Unterlüß erstanden hatte. Denn nur für eine halbe Stunde ins rund sechs
Kilometer entfernte Eschede zu brausen, das lohnte sich eigentlich nicht.
Doch an diesem Freitagmorgen machte der
Forstwirt eine Ausnahme. Bereits um Viertel nach neun – seine Pause begann
eigentlich erst um halb zehn – raste er den Waldweg entlang. Der Pick-up
hüpfte von Schlagloch zu Schlagloch, wobei sein Kopf mehrmals unter die
Fahrzeugdecke donnerte.
»Verfluchte Huckelpiste«, schimpfte er,
während er den Kopf einzog. »Höchste Zeit, dass hier der Grader kommt.«
Acht Minuten später stand er vor der
Haustür von Piet Zimmermann und klingelte Sturm.
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