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Wolfsfeder

Wolfsfeder

Titel: Wolfsfeder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Oehlschläger
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der Früh
eingenickt war. Doch er beherrschte sich und sagte in halbwegs normaler
Tonlage: »Bitte! Sie haben doch sicher noch ein eigenes Exemplar über. Darf ich
da wenigstens mal kurz reinschauen?«
    »Hm«, brummte der Kioskbesitzer, dem nicht
entgangen war, dass es seinem jungen Kunden bitterernst war. »Wenn’s denn
unbedingt sein muss.« Er griff unter den Tresen und holte eine » CZ « hervor. »Aber sei vorsichtig. Halt
sie nicht so in den Wind. Meine Erika will sie auch noch lesen.«
    »Selbstverständlich.« Finn nahm die
Zeitung und wandte sich ab. Ihm fiel sofort die Schlagzeile auf der ersten
Seite ins Auge: Totes Mädchen aufgebahrt im Wald
gefunden.
    Während Finn den Artikel las, sagte Lothar
Schmittke mehr zu sich selbst als zu seinem Kunden: »Schon wieder so ‘ne
Negativschlagzeile über Eschede, die in die Welt hinausgeht. Erst die
Waldbrandkatastrophe von 1975, dann das ICE -Unglück
1998. Und jetzt dieser grauenhafte Mädchenmord. Vielleicht gar ein zweiter Fall
Dora Klages.«
    Finn Braukmann horchte auf. »Was sagten
Sie eben?« Er hatte den Text bereits überflogen. In dem Artikel stand nichts
von den Drohbriefen, und auch sonst waren kaum Details erwähnt. Die Tote wurde
Yadira M. genannt, seit Kurzem wohnhaft in Eschede. Bezüglich der
Todesursache schwieg man sich aus. »Sagten Sie Dora Klages?«
    »Ja, genau.« Schmittke rieb sich sein
Glasauge. »Du weißt doch, die Dora, die sie da am Loher Weg massakriert haben.«
    »Wie meinen Sie denn das?«
    »Nu tu doch nicht so, Junge«, wunderte
sich der Kioskbetreiber. »Ich mache doch nur ‘nen Vergleich. Da wurde auch ein
junges Mädchen im Wald umgebracht. Böse Sache damals.«
    »Das ist über hundert Jahre her.«
    »Na ja, ich will ja nur sagen, dass das
seinerzeit auch hohe Wellen geschlagen hat.«
    »Sonst nichts?«
    »Nein! Sag mal, was ist los mit dir?«
Schmittke setzte seine Hornbrille auf und musterte Finn neugierig. »Kanntest du
das Mädchen? Ich meine, dich hier schon mal mit einer Farbigen gesehen zu
haben.«
    »Kann schon sein.« Finn faltete rasch die
Zeitung und gab sie zurück. »Danke.«
    Da er keine Lust hatte, noch länger mit
Schmittke zu palavern, stieg er auf sein Fahrrad und radelte los. Er bog in die
Albert-König-Straße ein. Es wurde höchste Zeit, sich mit Kai zu treffen.
    * * *
    »Eldingen.« Mendelski klappte
die Sonnenblende hoch. »Meine Güte. Wann war ich denn das letzte Mal hier?«
    »Keine Ahnung.« Maike Schnur musste
ordentlich auf die Bremse treten, um die im Ort erlaubten fünfzig
Stundenkilometer zu erreichen. »Ich war, glaube ich, noch nie hier.«
    »Du hast ja nicht so viele Dienstjahre auf
dem Buckel wie ich.«
    »In diesem Kaff gibt’s sogar eine
Polizeistation?«
    »Ja. Und sogar eine besonders hübsche,
soweit ich mich erinnern kann. Sie ist von außen lustig angemalt, so ‘n
bisschen im Hundertwasser-Stil.«
    »Uelzen lässt grüßen. Dass unser
Innenminister so was noch nicht verboten hat …«
    »Schau mal, die Kirche.« Mendelski wies
nach links. Soeben passierten sie den Glockenturm der St. Marienkirche.
Die Uhr an dem gedrungenen Holzturm, der separat neben dem aus Natursteinen
gebauten Kirchenschiff stand, zeigte fünf nach halb elf.
    »Asbach uralt, aber äußerst interessant«,
erläuterte der Kommissar. »Der Glockenturm steht extra. Das ist
außergewöhnlich. Ein Abbild der Kirche von Eschede.«
    Maike Schnur hörte gar nicht zu. Sie war
als Fahrerin mit ganz anderen Dingen beschäftigt. »Das Navi sagt, ich soll hier
rechts abbiegen, aber hier ist gar keine Abzweigung.«
    »Immer mit der Ruhe.« Mendelski widmete
sich wieder der Straße. »Dort vorn geht’s lang.«
    Wenige Minuten später standen sie vor dem
Haus der Stadlers, einem protzigen Bungalow, bei dem die Farbe Weiß dominierte:
schneeweiße Wände, weiße Fensterrahmen, weiße Türen und weiße Garagentore. Ein
weiß angestrichener Metallzaun umgab das penibel gepflegte Grundstück; weiße
Kiesel dienten als Wegematerial im Ziergarten und auf der Auffahrt, und
unterhalb einer weißen Statue, die zwei schnäbelnde Reiher darstellte,
plätscherte ein Springbrunnen – natürlich in Weiß.
    »Ein Glück, dass es noch keine weißen
Dachziegel gibt«, lästerte Maike Schnur, nachdem sie aus dem Wagen gestiegen
waren. Sie war von dem vielen Weiß derart geblendet, dass sie ihre Sonnenbrille
zückte. »So ein Haus passt doch überhaupt nicht in die Heide.«
    »Jedem Tierchen sein Pläsierchen«,
erwiderte Mendelski,

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