Wolfsfeder
natürlich besonders waghalsig geflogen, sodass ihr Gesicht schon nach
wenigen Minuten grün angelaufen war und sie sich schließlich übergeben musste.
Von ihrem Fensterplatz kurz vor der
Tragfläche schaute sie in die Nacht hinaus. Tiefschwarz lag das Karibische Meer
unter ihnen. Erst als das Flugzeug sich nach links neigte, um vom Süd- auf
Ostkurs umzuschwenken, sah sie die vielen Lichter.
Boca Chica , die
Badewanne Santo Domingos, war hell erleuchtet. Hier hatte sie so manchen
Sonntagnachmittag verbracht, wenn sie bei ihrer Tante Anselma in der Hauptstadt
zu Besuch war. Als Nichtschwimmerin – wo sollte man in den Bergen auch
schwimmen lernen? – schätzte sie den beliebten Badeplatz mit dem
herrlichen Sandstrand, an dem das Wasser durch ein vorgelagertes Riff recht
ruhig und nicht tiefer als eineinhalb Meter war.
Etwas weiter östlich tauchten die Lichter
von Juan Dolio auf, ein Stück weiter die Küste entlang erkannte sie San Pedro
de Macorís. Rote Blinklichter warnten in schwindelerregender Höhe vor den
Schornsteinen der Zuckerfabriken, die es hier zuhauf gab.
Schnell gewann das Flugzeug an Höhe. La
Romana war noch auszumachen, dann wurde es langsam dunkel um Flug IB 3500. Die
Maschine hatte den östlichsten Zipfel von Hispañola erreicht und flog nun auf
den Atlantischen Ozean hinaus.
Eine Träne rollte langsam ihre Wange
hinab. Würde sie ihr geliebtes Eiland jemals wiedersehen?
* * *
»Scheint nicht da zu sein«,
stellte Kai fest, während er durch das heruntergedrehte Seitenfenster über die
Buchsbaumhecke lugte. »Sein Volvo steht jedenfalls nicht im Carport.«
»Wie kommst du auf Pagel?« Finn schüttelte
ungläubig den Kopf. »Weil er Yadira privat ein paar Deutschstunden gegeben hat?
Der schrullige Kerl! Der tut doch keiner Fliege was zuleide.«
»So richtig glaub ich ja auch nicht
daran.« Kai guckte gequält. »Deswegen bin ich ja selbst hergefahren, statt ihm
die Bullen auf den Hals zu hetzen.«
»Also, was nun?«
»Es ist wegen der Wolfsangel. Erinnerst du
dich nicht mehr an seinen Geschichtsunterricht?«
»Nee, da hab ich gepennt.«
»Pagels Steckenpferd ist die Geschichte
des Dritten Reiches, auch wenn er kein Sympathisant der rechten Szene ist. Wir
haben bei ihm mal die Insignien der Nazis durchgenommen, deren Herkunft
beleuchtet und so. Unter anderem auch die Wolfsangel.«
»Ich erinnere mich dunkel.«
»In der Jagdscheinausbildung ging’s dann
weiter. Löns, Löns und noch mal Löns. Pagel las dauernd aus den alten Schinken
vor. Meist aus dem ›Wehrwolf‹. ›Die Wolfsangel steht für Wehrhaftigkeit‹, hat
er immer gepredigt. So, wie Hermann Löns sie verehrte, hat auch Pagel die
Wolfsangel und ihre Symbolik verehrt.«
»Davon weiß ich gar nichts«, entgegnete
Finn. »Ich hab schließlich keinen Jagdschein.«
»Na, überleg mal.«
»Du meinst also, Pagel könnte etwas mit der
Wolfsangel im Wald zu tun haben. Nur, warum sollte er –«
»Na, denk doch ans Schützenfest«,
unterbrach ihn Kai.
»Wieso?«
»Mensch …«
Finn stutzte. »Ach, du meinst das mit dem
Tanzen?«
»Natürlich. Ich weiß das noch ganz genau.
Yadira war supergut drauf und hat den Pagel zum Tanzen aufgefordert. Oder
besser: mit beiden Händen auf die Tanzfläche gezogen. Um mit ihm einen Mambo
oder so aufs Parkett zu legen. Sie, in ihrem sexy Sommerkleid …«
»Sie sah umwerfend aus.« Finns Blick
verklärte sich.
»Dem Pagel gefiel das doch, jedenfalls am
Anfang. Der verklemmte Junggeselle und ungelenke Dorfschullehrer fühlte sich
geschmeichelt, gebauchpinselt. Doch dann wurde ihm sein trampelhaftes Gehopse
plötzlich peinlich. Das ganze Zelt guckte nämlich zu – und vor allem jede
Menge Schüler mit Fotohandys. Das hat er in der folgenden Woche in der Penne
immer wieder zu spüren bekommen, die Fotos gingen rum wie ein Lauffeuer. Selbst
im Internet gab es Bilder und Kommentare. Im Nachhinein, das habe ich neulich
beim Entenstrich in Habighorst mitbekommen, fühlte er sich von Yadira
bloßgestellt, absichtlich. Die Leute erzählten, er hätte ihr das total übel
genommen.«
»Und aus war’s mit dem privaten
Deutschunterricht?«
»Ja.« Kai nickte.
»Du hast recht, wir sollten ihn zur Rede
stellen.«
* * *
»Interessante Neuigkeiten von
Ellen«, verkündete Mendelski mit verhaltener Stimme. Er schaute sich um, um
sicherzustellen, dass in der Gaststätte kein unerwünschter Zuhörer etwas
mitbekam. »Kommt mal ein bisschen näher.«
Strunz, Kleinschmidt und Maike
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