Wolfsfeder
oder
vernichtet haben.« Letzteres fände sie – das musste sich die Haushälterin
eingestehen – weniger schlimm.
Sie stand mitten im Zimmer und schaute
sich um. Die Tür mit dem zerschnittenen Siegel hatte sie hinter sich zugezogen.
Ob sie für ihr Vorhaben die Deckenlampe anknipsen sollte? Sie verwarf den
Gedanken.
Auf Zehenspitzen trat sie zum Fenster und
schob die Gardinen zur Seite. Da das Haus unter Denkmalschutz stand, waren bei
der aufwendigen Komplettsanierung vor zehn Jahren die Fenster – sehr zum
Verdruss des Bauherrn Konrad Kreinbrink – in ihrer ursprünglichen Größe
erhalten geblieben. Und in einem originalgetreu renovierten niedersächsischen
Vierständer-Fachwerkhaus gab es nun mal nur vergleichsweise winzige
Fenster – mit entsprechend dunklen Räumen.
Für einen kurzen Augenblick kam ihr die
Sonne zu Hilfe. Ihre Strahlen bahnten sich einen Weg durch die dichten, eilig
am Herbsthimmel dahinziehenden Wolken, und in Yadiras Zimmer wurde es deutlich
heller.
Obwohl sie schon gestern, am
Donnerstagmorgen, das Zimmer auf den Kopf gestellt und danach penibel
aufgeräumt hatte, durchsuchte sie es ein zweites Mal. Zuerst nahm sie sich den
Schreibtisch und den Kleiderschrank vor. Danach kam das Bett an die Reihe,
wobei sie diesmal sogar die Matratze aus dem Bettkasten heraushob und
untersuchte.
Ihr Zorn wuchs mehr und mehr, denn sie
fand keine Spur von dem, was sie suchte.
Sie war gerade dabei, den Teppich
aufzurollen, um auch darunter nachzugucken, als sie Motorengeräusche von
draußen vernahm. Erschreckt ließ sie den Teppich fahren, erhob sich hastig und
trat ans Fenster. Vorsichtig lugte sie an der Gardine vorbei, um in den Hof
hinunterzuspähen.
Zwei Autos waren vorgefahren. Vier
Personen stiegen aus, zwei davon waren ihr schon bekannt: Es war das ungleiche
Ermittler-Paar Mendelski/Schnur, das bereits zweimal hier gewesen war. Die
anderen beiden hatte sie gestern Nachmittag im Wald gesehen, auf dem
Streckenplatz, dort, wo die Leiche von Yadira gefunden worden war.
Vier Polizisten auf einmal, dachte sie
erschrocken. Unangemeldet. Sie machten einen zielstrebigen und energischen
Eindruck. Was hatte das zu bedeuten?
Irene Hogreve beobachtete, wie sich die
Gruppe aufteilte. Während der Kommissar und seine Mitarbeiterin zur Haustür
gingen, eilten die anderen beiden um das Haus herum und verschwanden in
Richtung Garten.
Nun musste es schnell gehen. Man durfte
sie hier auf gar keinen Fall finden. Mit dem Fuß schob sie den Teppich in die
alte Position, stellte den Stuhl wieder vor den Schreibtisch und richtete die
Gardinen neu. Ein prüfender Blick durch den Raum – alles war, wie sie es
vorgefunden hatte. Nur das mit dem Okuliermesser zerschnittene
Polizeisiegel …
Es klingelte an der Haustür.
»Verflucht«, zischte sie. Aus der
Schürzentasche kramte sie hastig eine Rolle Tesafilm hervor, schnitt ein etwa
drei Zentimeter langes Stück ab und klebte es zur Hälfte von hinten an die
Schnittstelle des Siegels. Dann zog sie behutsam die Tür hinter sich ins
Schloss.
Es klingelte ein zweites Mal.
Obwohl ihre Hände zitterten, fügte sie die
beiden Enden des zerschnittenen Siegels auf dem Klebeband geschickt wieder
zusammen. Von außen war davon nun nichts mehr zu sehen. Man musste schon sehr
genau hinschauen, um den feinen Schnitt im Papier zu erkennen.
Zufrieden warf sie einen letzten Blick auf
ihr Werk und stieg eilig die Treppe hinunter.
Die Türglocke erklang zum dritten Mal.
* * *
Hier sind die bestimmt nicht
langgefahren. Karl-Heinz Jagau dachte an Pagel und Wiegand. Mit ihren nicht
gerade geländetauglichen Autos hätten die sich auf diesem zerwühlten Weg
todsicher festgefahren.
Der Forstwirt fragte sich, was der Lehrer
und der Gärtner zu dieser Stunde hier im Wald zu suchen hatten. Ob sie
verabredet waren? Nein, ganz bestimmt nicht. Die beiden waren sich nicht
besonders grün. Man munkelte in Eschede, dass sie kein einziges Wort mehr miteinander
gesprochen hätten, seit der Pagel den Wiegand bei der Jägerprüfung mit Pauken
und Trompeten hatte durchfallen lassen.
Trotz Allradantrieb hatte der Pick-up
seine liebe Not mit dem aufgewühlten Waldweg. Jagau fluchte und gab ordentlich
Gas, um nicht stecken zu bleiben. Er kurbelte wie wild am Lenkrad, schrammte um
Haaresbreite an dem Holzpolter vorbei, das auf der Wegbankette dicht neben der
ursprünglichen Fahrspur frisch gelagert worden war, und kam schließlich
jenseits des großen Schlammlochs zum Stehen. Er
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