Wolfsfeder
stellte den Motor ab.
Puh, dachte er, das war knapp. Was muss
ich hier auch herumgurken? Bei dem vielen Regen der letzten Wochen ist doch
klar, dass dieser Weg durch den Holzeinschlag in die Grütze gefahren wird.
Er steckte sich eine Zigarette an und
kurbelte das Fenster herunter. Dann schaute er zu dem Harvester hinüber, der
rund vierzig Meter entfernt auf einer Gasse im Wald stand.
Wieder kamen ihm die Schrammen in den
Sinn, die Kratzer in seinem Gesicht, deren Herkunft er sich nicht erklären konnte.
Wenn die nicht von Doris stammten …
Hatte er in der fraglichen Nacht doch noch
jemanden getroffen? Am Ende das Mädchen, das tot im Wald lag? Hatte er
versucht, sie anzubaggern? Und war abgewiesen worden?
Beklommen beobachtete er den Harvester.
Die Maschine, ein moderner
Holz-Vollernter, war gerade dabei, eine zopftrockene Altkiefer zu fällen. Der
Fahrer musste das Aggregat mehrmals neu ansetzen, da der dicke Stammfuß nicht
so leicht zu durchtrennen war. Nach mehreren Schnitten wankte schließlich der
Baum und fiel in die gewünschte Richtung.
Vielleicht hatte ihm das temperamentvolle
Mädchen die Fingernägel durchs Gesicht gezogen, weil er zu viel gefordert
hatte. Dann, das musste er sich schockiert eingestehen, wäre er sicher nicht
allzu zimperlich mit ihr umgegangen.
Erst jetzt hatte der Harvesterfahrer den
Pick-up im Blickfeld. Jagau hob den Arm zum Gruß, denn er kannte den
Maschinenführer gut. Jan kam aus Finnland und führte als freier
Holzeinschlagsunternehmer seit Jahren für von Bartling Durchforstungen durch.
Vollernter im Holzeinschlag einzusetzen, war rationeller und ökonomischer, als
diese Knochenarbeit mit der Motorsäge durchzuführen.
Konnte man für etwas bestraft werden,
wovon man gar nichts wusste? Ihn überlief es kalt. Er hatte sich selbst gerade
zugetraut, sturztrunken jemanden umgebracht zu haben. Aber daran … an so
was Grässliches … daran müsste man sich doch erinnern. Erfolglos
durchforstete er sein Gedächtnis.
Dann durchzuckte ihn ein noch viel
schlimmerer Gedanke: Wenn er der Täter war, würde ihm kein Mensch, nicht mal
seine Kumpels, glauben, dass er nichts davon wusste. Verfluchter Suff.
Er musste sich zusammenreißen.
Jagau schaute auf seine Armbanduhr. Noch
eine gute Stunde bis zum Feierabend.
Einen Auftrag hatte er noch zu erfüllen. Er
musste zum Streckenplatz, um die vier Schwedenfeuer abzuholen, die gestern
übrig geblieben waren. Nach dem Leichenfund und dem Abbruch der Jagd hatte man
ja auf das übliche Streckelegen verzichtet und somit auch nicht die
Schwedenfeuer angezündet. Er hatte die Stammfackeln zurücklassen müssen, da die
Pritsche seines Pick-ups zum Transport des erlegten Wildes benötigt worden war.
Er ließ den Motor an, winkte noch einmal
zu Jan hinüber und fuhr dann los. Wieder ging es durch tiefen Morast und
schwarze Pfützen.
»Die Rallye Paris – Dakar ist nichts
dagegen«, schimpfte Jagau.
Er warf die Zigarettenkippe in den
Schlamm, schloss das Fenster und jagte mit laut aufheulendem Motor davon.
* * *
»Schön, Sie zu sehen«, sagte
Mendelski, nachdem Irene Hogreve die Haustür geöffnet hatte. »Meine Kollegin
und ich dachten schon, es ist niemand zu Hause.«
»Sieh an, mal wieder die Polizei aus
Celle«, entgegnete die Haushälterin spitz, während sie mit den Handflächen über
ihre Schürze strich, als ob sie direkt aus der Küche käme und noch nasse Hände
hätte. »Außer mir ist aber niemand da. Herr Kreinbrink kommt immer erst spät am
Nachmittag heim, und der Kai ist mit Finn Braukmann unterwegs.«
»Nicht weiter schlimm.« Mendelski setzte
sein gewinnendes Lächeln auf. »Vielleicht können Sie uns ja auch helfen?«
»Wenn Sie meinen …«
»Wir haben eine Frage, die Sie sicher
leicht beantworten können.«
»Bitte.«
»Haben die Kreinbrinks einen Swimmingpool
in ihrem Garten?«
Irene Hogreve hatte beide Hände in ihrer
Schürze vergraben. Als ihre rechte Hand das zusammengeklappte Okuliermesser in
der Tasche ertastete, umklammerte sie den hölzernen Griff mit aller Kraft.
»Ja, haben sie.« Ihr Gesichtsausdruck
zeigte Verwunderung. »Darf ich fragen, warum Sie das wissen möchten?«
»Nicht jetzt, später vielleicht.«
Mendelski wurde förmlich. »Können wir den Pool mal sehen?«
»Jetzt gleich?«
»Ja, bitte.«
»Na gut, wenn Sie darauf bestehen …«
Nachdem sich die Haushälterin vergewissert hatte, dass sie ihr Schlüsselbund
bei sich trug, zog sie die Haustür ins Schloss. »Hier
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