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Wolfsfeder

Wolfsfeder

Titel: Wolfsfeder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Oehlschläger
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übereilt
Entscheidungen zu treffen. Auf keinen Fall sollte er noch jemandem von seiner
Entdeckung erzählen, schon gar nicht der Polizei. Das würde von Bartling schon
selbst übernehmen, wenn er das für richtig hielte.
    Sein Chef war überfällig. Als Karl-Heinz
Jagau ihn vor einer Stunde angerufen hatte, war von Bartling gerade mit dem
Auto auf dem Rückweg von Hannover nach Eschede gewesen, auf der A37, der
Moorautobahn bei Schillerslage. Von dort benötigte man – selbst im Berufsverkehr
quer durch das verstopfte Celle – eigentlich höchstens vierzig Minuten.
    Jagau saß im Auto, rauchte und schaute den
Schwedenfeuern zu, die allmählich niederbrannten und in sich zusammenfielen.
Immer öfter schaute er auf die Uhr.
    Inzwischen ärgerte er sich schwarz, dass
er so kurz vor Feierabend noch zum Streckenplatz gefahren war.
    Die blöden Schwedenfeuer hätten auch noch
bis Montag Zeit gehabt. Kein Mensch würde so schwere und unhandliche
Baumfackeln klauen. Aber nein, das hatte er nun von seiner Beflissenheit. Seit
einer Dreiviertelstunde war Feierabend, und er hockte hier im Busch.
    Dabei hatte er heute Abend unbedingt zu
Doris fahren wollen, um sie noch einmal in Ruhe auf die Schrammen in seinem
Gesicht anzusprechen. Vielleicht war ihr ja in der Zwischenzeit etwas
eingefallen, was seine bohrenden Zweifel beseitigen könnte. Gestern war sie von
dem Saufgelage in der Nacht zuvor ja noch ziemlich verkatert gewesen, und da
konnte es schon mal passieren, dass man peinliche Erinnerungen verdrängte. Mit
unangenehmen Lücken im Gedächtnis hatte er ja frische Erfahrungen.
    Langsam wurde es ihm zu bunt. Mit einem
Fluch auf den Lippen schnippte er die Zigarettenkippe in die Pfütze neben
seinem Wagen, in der bereits ein halbes Dutzend ihrer Art schwammen. Er stieg
aus und pfefferte die Autotür hinter sich ins Schloss.
    Gelangweilt schlenderte er zu den
glühenden und dampfenden Überresten der vier Schwedenfeuer. Eigentlich sollte
er sich ja nicht von der Stelle rühren, hatte ihm von Bartling aufgetragen, um
etwaige Spuren nicht zu verwischen. Doch Unmut und vor allem Neugier waren
größer als seine Vernunft.
    Er umkreiste das Karree in einem
Sicherheitsabstand von rund zehn Metern, den ominösen Fichtenzweig in der Mitte
stets im Blick. Als er ungefähr die Hälfte des Weges geschafft hatte, blieb er
plötzlich wie angewurzelt stehen.
    Vor ihm auf dem Waldboden lag noch ein
Fichtenzweig. Zwar nur halb so groß wie der Ast zwischen den Schwedenfeuern,
aber genauso präpariert: Die Rinde des Mitteltriebes war mit einem Messer
abgeschabt worden, ganz frisch, sodass das gelblich helle, harzige Holz
darunter zum Vorschein kam.
    Jagau wusste, dass man diese Zweige in der
Jägersprache Brüche nannte, dass es verschiedene von ihnen gab und dass sie
alle etwas Besonderes bedeuteten – er wusste nur nicht genau, was. Den
Schützenbruch, klar, den kannte er. Der wurde dem Erleger eines Stück
Schalenwildes oder eines Fuchses beim Streckelegen vom Jagdherrn überreicht.
Wie oft hatte er schon für von Bartling solche Fichtenzweige brechen
müssen – bloß nicht schneiden, sonst verstieß man gegen das jagdliche
Brauchtum.
    Doch der Bruch zu seinen Füßen war ihm ein
Rätsel. Das dicke Ende mit der Bruchstelle wies auf den großen Bruch in der
Mitte des Schwedenfeuer-Karrees, die gewachsene Spitze in das Kiefern-Altholz
nebenan.
    Moment mal.
    Dort drüben zwischen den beiden dicken
Bäumen lag ein weiterer Zweig, der in genau dieselbe Richtung wie die Astspitze
zeigte.
    Ist das hier ‘ne Art Schnitzeljagd?,
fragte sich Jagau verwundert. Er ging ein paar Schritte in das Altholz hinein,
vorsichtig Fuß vor Fuß setzend.
    Tatsächlich – da lag noch einer.
    Im gleichen Augenblick hörte er, dass sich
ein Auto mit hoher Geschwindigkeit dem Streckenplatz näherte.
    * * *
    Die Sonne stand bereits sehr
tief. Ihre langen Strahlen hatten sich unter die Kronen der Hofeichen gemogelt,
um die knorrigen Stammfüße der hundertfünfzig Jahre alten Baumriesen zu
bescheinen. Das darüber liegende, herbstlich goldfarbene Laubdach erstrahlte im
außergewöhnlich klaren Abendlicht.
    Die Tür des Holzschuppens öffnete sich mit
einem Knarren.
    Rolf Wiegand fluchte innerlich. Er hatte
versäumt, die Türscharniere des Schuppens zu ölen.
    Als die Tür eine Handbreit geöffnet war,
traf ein langer Sonnenstrahl die schweißnasse Stirn des Gärtners. Irritiert
zuckte er zurück. Wieder im Dunkeln, rieb er sich die Augen und startete

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