Wolfsfieber - Band 2
uns“, sagte er aufgeregt.
Damit hatte ich nicht gerechnet. Er hatte mich kalt erwischt. Ich blickte fragend zu ihm.
„Es ist eine Blockhütte. Mitten in der kanadischen Wildnis. Ich hab mir gedacht, dass es dir gefallen könnte …“ Ich hörte sofort seinem Tonfall an, dass er sich das wünschte, also lächelte ich aufmunternd.
„… Alles ist unfassbar grün. Man kann einen klaren, großen See von der Veranda aus sehen. Ich könnte dir dort schwimmen beibringen. Natürlich nur, wenn du willst. Unendliche Bergzüge und Sonnenuntergänge, wie du sie noch nie ge-sehen hast, Joe!“, schwärmte er. Istvan redete sich in Rage, fast wie im Fieber.
„Das klingt wie ein wahrgewordener Traum.“ Eigentlich zu gut, um wahr zu sein. Aber ich würde mir lieber die Zunge abbeißen, als diesen dummen Gedanken vor dir auszusprechen.
„Kein Traum! Unser Leben, wenn du es willst. Joe, du hast mir soviel gegeben. Dinge, von denen ich nicht einmal gewusst habe, dass ich sie mir wünsche. Von der Sekunde an, als du mir begegnet bist, so verrückt es auch klingt, bist du zu meiner personifizierten Hoffnung geworden. Meiner einzigen Hoffnung. Und als du erneut in mein Leben getreten bist, hast du mich erst wirklich zum Leben gebracht. Deshalb möchte ich dir Dinge zeigen, schöne Dinge. Kairo und die Pyramiden. Das Nordlicht. Die irische Küste. Die Kettenbrücke in Budapest bei Nacht. Die Florida-Keys von einem Boot aus … es gibt so viel, was ich mit dir sehen will.“
Ich musste lächeln und konnte nicht damit aufhören, weil ich begriff, wie lange er darüber schon nachgedacht haben musste.
„Istvan, du musst mir nicht die halbe Welt schenken, auch wenn ich das alles gern mit dir tun würde. Es macht mich schon glücklich, mir vorzustellen, mit dir ganz alleine in dieser Hütte in Kanada, von mir aus auch in Timbuktu oder sonst wo, zu sein …“, das brachte ihn zum Lachen, „… nur du und ich und ein paar Schwimmstunden, die ich kaum erwarten kann. Darauf kommt’s an. Solange ich mit dir leben darf und ich dich küssen kann, wo, wann und vor wem ich will, bin ich dabei.“
Ich presste mich mit geschlossenen Augen an seine Brust. „Außerdem hast du mir schon jetzt mehr gegeben, als ich je für möglich gehalten hätte. Ich weiß auch erst seit dir, was es heißt, wirklich lebendig zu sein.“
Er strich mir das feuchte Stirnhaar hinters Ohr. Etwas ließ ihn verkrampfen.
„Und alles, was es dich gekostet hast?“, fragte er bang.
„Zählt nicht!“, antworte ich knapp.
„Oder siehst du das anders?“, fragte ich herausfordernd. So was nennt man eine Fangfrage, Mr.
„Hm“, brummte er hinhaltend und rieb sich verschmitzt das Kinn.
„Nein. Mit dir lebendig sein, schlägt einfach alles!“
28. Der Blick in den Abgrund
Bald würde es so weit sein. Aber noch zwang ich mich, nicht darüber nachzudenken. Ich versuchte mich auf meine unmittelbare Umgebung zu konzentrieren und die lähmende Angst, die von mir Besitz ergreifen wollte, weitestgehend zu ignorieren, was mir aber kaum gelang. Ein feiner Nebel war aufgezogen. Der Wechsel von warm und kalt hatte ihn mit sich gebracht. Wie ein Rauchteppich schlang er sich um die Bäume und schien auf uns zuzukommen, wie die Meute der Farkaswölfe, auch wenn diese als Menschen angreifen würden. Die Luft war klebrig süß. Das letzte Anzeichen eines vergehenden Sommers.
„Eine Stunde“, hatte Valentin gesagt. Bloß eine Stunde, dann würden sie hier sein und die Hölle losbrechen. Istvan -redete gerade auf mich ein. Letzte Instruktionen, Verhaltungsanweisungen oder was weiß ich. Es kam nicht zu mir durch. Innerlich schob ich Panik. Nichts mehr übrig von meiner üblichen Gefasstheit oder Ruhe. Ich hatte ein verflucht schlechtes Gefühl.
„Hast du alles verstanden?“, fragte er scharf. Und er fragte es nicht zum ersten Mal. Ich musste wohl genickt haben, denn er fuhr schon fort. „Ich will, dass du es wiederholst!“, schnauzte er mich an.
„Was? Was soll … soll ich wiederholen?“, stammelte ich.
„Du hast mir gar nicht zugehört.“
Jetzt packe Istvan meine Schultern und redete streng auf mich ein.
„Du darfst nicht zum Waldabschnitt mit dem felsigen Untergrund, solltest du fliehen müssen. Dort hast du kaum eine Chance zu entkommen. Bleib auf festem Untergrund. Denk immer an dein Messer, Joe! Hier, ich stecke es dir jetzt in das Halfter“, erklärte er deutlich sanfter, als er die Bleiklinge behutsam in die
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