Wolfsfieber - Band 2
eine Holzschnitzerei fertig machen und ging dazu auf den Balkon.
Marius begann mit dem Aufbau, während Woltan, Sera-fina und Istvan sich auf ihre Plätze setzten. Marius, der etwas kleiner war als der Rest der Valentins und daher etwas stämmiger wirkte, schlug die Pokervariante vor: „Texas Hold’em“. Danach stritten sie um das Ausmaß der Grundeinsätze, soviel verstand ich. Doch als sie die erste Runde zu Ende gespielt hatten, war mir klar, dass ich dieses Spiel wohl nie kapieren würde und auch nicht gerade scharf darauf war. Istvan schien seinen Spaß zu haben, auch wenn Marius derjenige war, der voll in seinem Element zu sein schien.
„Ich werde Valentin Gesellschaft leisten. Anscheinend tauge ich nicht zur Poker-Tischdame!“, ließ ich ihn wissen und entfernte mich aus der Küche. Istvan nickte und küsste mich kurz auf die Wange, dann zog ich mir die Jacke an und folgte Valentin auf die Holzveranda.
Eine leichte Brise wehte, aber es war nicht besonders kühl. Valentin saß auf einem reich verzierten Schaukelstuhl und schnitzte gekonnte an einem Stück Holz herum, dessen eine Seite schon fast wie ein Reh aussah. Ihm gegenüber setzte ich mich auf die breite Brüstung. Sie war bequem genug, damit man sich darauf lehnen konnte. Er lächelte sanft und konzentriert, dann sah er zu mir hoch. Ich lächelte wie von selbst zurück.
„Du kannst also nichts mit Poker anfangen?“, fragte er, um eine Unterhaltung in Gang zu bringen.
„Sieht ganz so aus“, bestätigte ich ihm und wartet ab, ob er wieder etwas zu sagen hatte, das nur für mich bestimmt war. Eigentlich rechnete ich sogar fest damit. Aus irgend-einem Grund vermutete ich sogar, dass Valentin gehofft hatte, ich würde auftauchen, um mit ihm zu reden oder ihm einfach nur zuzuhören.
„Wir werden bestimmt die Zeit rumkriegen. Du solltest von einer längeren Partie ausgehen. Marius ist so gut wie unschlagbar. Er versucht manchmal sogar zu betrügen, aber nur bei Menschen“, erzählte er beiläufig.
„Dann ist es ja gut, dass ich nicht mitspiele“, folgerte ich.
„Valentin, ich wollte dich etwas fragen. Es geht um das, was du mir gesagt hast, als ich letztens hier war“, begann ich und forschte seine Reaktion aus.
„Ja, ich weiß. Ich habe schon darauf gewartet“, antworte er gelassen und selbstsicher. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte.
„Du willst wissen, was ich gemeint habe, als ich dir sagte, dass Istvan noch akzeptieren muss, wer oder was er ist“, stellte er klar. „Ich möchte es verstehen. Ich muss sogar!“, stieß ich aufgebracht hervor und lehnte mich weiter nach vorne.
„Ich weiß nicht, ob du das kannst. Aber nach allem, was du bereits schon gesehen hast. Vielleicht ist es genug“, wägte er ab und kräuselte seine Lippen.
„Stell dir vor, du wärst ein Kriegsheimkehrer und hättest schlimme Narben davongetragen. Früher oder später musst du eine Entscheidung treffen, bewusst oder unbewusst. Entweder du lässt dich von deinen Narben tragen und beginnst dich über sie zu definieren oder du selbst trägst die Narben und versuchst dazu zu stehen, ohne jedoch von ihnen beherrscht zu werden, so gut du kannst … Istvan und ich sind uns sehr ähnlich, aber in diesem entscheidenden Punkt unterscheiden wir uns sehr. Ich habe meine Wahl getroffen, habe akzeptiert, was aus mir geworden ist. Aber Istvan …“
„… lässt zu, dass seine Narben verhindern, dass er sich selbst klar sieht, so wie er ist“, beendete ich seinen Satz für ihn, denn ich verstand, was er mir klarmachen wollte. Ich verschränkte frustriert die Arme vor der Brust und setzte mich an Valentins Seite. Auf der Holzbank sackte ich zusammen und ließ meinen Kopf hängen.
Valentin sah meinen bekümmerten Zustand und wollte mir helfen. Er legte mir besänftigend seine Hand auf die Schulter und sprach mit mir in einem leisen, beruhigenden Ton.
„Joe, du hast ihn so verändert. Wäre Farkas nicht aufgetaucht, hätte er durch dich irgendwann begonnen, sich selbst anzunehmen, vielleicht hätte Istvan sogar Frieden mit seinem Wolfswesen geschlossen“, sagte er und wollte mich offensichtlich aufmuntern.
Er wollte Trost spenden und es wirkte. Vielleicht wäre es tatsächlich so gekommen. Aber Farkas, dieser Höllenvater, hatte diese Hoffnung zunichtegemacht. Dafür hasste ich ihn über alle Maßen. Ich biss fest die Zähne zusammen, um diese giftigen Gedanken zu verscheuchen.
„Und jetzt?“, fragte ich schwach und war ängstlich, wie ich
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