Wolfsfieber - Band 2
sein Angebot abzulehnen. Obwohl er es besser aufnahm, als ich erwartet hatte, fühlte ich mich dennoch schlecht. Ich war mir da-rüber im Klaren, dass ich ihn eigentlich im Stich ließ. Es wäre mir fast lieber gewesen, er hätte mich gefeuert. Doch Malz, der gute alte Malz versicherte mir mehrmals, dass sich an meiner bisherigen Tätigkeit als Musikkritikerin nicht das Geringste ändern würde. Ich verdiente seine Nachsicht zwar nicht, war ihm dafür aber überaus dankbar.
Ich beschloss, als eine Art Ausgleich, meine künftigen Kritiken noch feuriger, spritziger und tiefgründiger zu verfassen als bisher, damit er seine Entscheidung nicht bereuen würde.
Dabei gelang mir sogar ein kleines Wunder, denn ich hatte Malz’ Angebot abgelehnt, ohne dass Istvan etwas davon erfuhr. Wir hatten zwar verabredet, ehrlich zueinander zu sein, aber diese Sache ging nur mich etwas an. Außerdem wollte ich um jeden Preis verhindern, dass er wieder anfangen würde zu behaupten, er und seine Welt hätten negative Auswirkungen auf mein Leben. Es gab schon genug Probleme, mit denen wir uns herumschlagen mussten. Immerhin hatte ich noch immer nicht die geringste Vorstellung davon, wie das Zusammensein von Istvan und mir in Zukunft aussehen würde, solange sein Problem nicht geklärt war. Wir kehrten wieder zu dem Punkt zurück, an dem man niemals sicher ist, welche Berührung oder welche Geste man sich erlauben darf und welche Nähe zu gefährlich ist. Wir hatten schon so vielem getrotzt, wir würden auch das hier überwinden. Es brauchte nur Zeit und viel Geduld. Es sah so aus, als würde ich doch endlich lernen müssen, mich in Geduld zu üben. So hatte jeder von uns sein Päckchen zu tragen.
Meinen Eltern, Esther und Heinrich, hatte ich ein dummes Lügenmärchen von einem Last-Minute-Urlaub erzählt. Sie waren verdammt glücklich, dass ich mir mal eine Auszeit gegönnt hatte, und ich war zufrieden damit, dass sie es mir abnahmen und sich darüber freuten. Dabei beließ ich es und wünschte ihnen noch eine aufregende Neuseeland-Rundreise.
Von meinem Bruder Viktor musste ich mir allerdings eine Standpauke anhören, weil ich das letzte Sonntagsessen nicht rechzeitig abgesagt hatte. Mit so etwas hatte ich bereits gerechnet, also brachte ich vorsorglich noch eine üppige Fleischplatte mit. Als ich dann den ersten Sonntag nach meiner Rückkehr bei ihnen auftauchte, war seine Frau Paula einfach nur froh, mich zu sehen, fragte mich aber dummerweise über meinen Kurzurlaub aus. Ich hatte nicht daran gedacht, mir etwas zurechtzulegen, deshalb wechselte ich oft, allzu oft, das Thema und erzählte genug Trivialitäten und Horrorgeschichten über das miserable Hotel, dass ihr die Lust auf eine ausführlichere Inquisition verging.
Bevor ich zu diesem Essen aufbrach, legte ich Istvan, der noch immer auf meiner Couch schlief, noch eine Decke über. Seit wir von meinem Vorstellungsbesuch bei dem Valentin Rudel zurückgekommen waren, schlief er derart tief und fest, dass es mir unmöglich war, ihn zu wecken. Da erst wurde mir bewusst, dass er ein ungeheures Schlafdefizit gehabt haben musste. Erneut flammten die Schuldgefühle in mir auf und ich war froh, das Essen mit meiner Familie als Ausrede zur Verfügung zu haben. Denn so konnte ich ihn richtig ausschlafen lassen und mich gleichzeitig davon abhalten, ihn die ganze Zeit dabei zu beobachten.
Erst lange nach meiner Rückkehr vom Willkommensessen wachte Istvan auf. Draußen begann es bereits zu dämmern. Mein kleiner Werwolf hatte ganze zwanzig Stunden durchgeschlafen. Es war fast sieben Uhr abends.
Ich kam gerade aus dem Bad und hätte beinahe einen Herzinfarkt bekommen, als ich die Tür öffnete und Istvan völlig unangemeldet im Türrahmen stand.
„Herrgott, musst du mich so erschrecken. Ich hatte fast einen Herzstillstand!“, stieß ich erschrocken hervor und hätte beinahe mein Handtuch verloren, das ich vor meiner Brust zusammenhielt.
„Ja, ich weiß, hab’s gehört“, beschwerte er sich verschlafen. Seine Augen waren noch klein und schwer und seine Stimme etwas belegt, leider auf eine sehr aufreizende Art und Weise. Ich versuchte vergeblich, es zu ignorieren.
„Verzeihst du mir?“, fragte er übertrieben ernst gespielt. Warum konnte sich dieser raue, reizende Ton in seiner Stimme nicht einfach auflösen? Es wäre besser so. Leichter.
„Natürlich“, stotterte ich fast.
„Schön“, meinte er abwesend, kam dann etwas näher und küsste mich sanft auf den Hals. Seine heißen
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