Wolfsfieber - Handeland, L: Wolfsfieber
verstehe.“
Mrs Beasly musterte mich über den Rand ihrer Drahtbrille hinweg. Mir kam der Gedanke, ob sie vielleicht eine Lehrerin mit einer Vorliebe für Lineale gewesen war, bevor sie auf Bibliothekarin umgesattelt hatte. Ich versteckte meine Knöchel hinter meinem Rücken und versuchte, engelsgleich auszusehen, was mit meinem teuflisch roten Haar nicht ganz einfach war.
„Ist das nicht ein bisschen seltsam“, erkundigte ich mich. „Ich meine, dass es keine weiblichen Nachkommen gibt.“
„Das ist nicht das Einzige.“
„Ach, wirklich?“
Sie blickte sich um, als befürchtete sie, belauscht zu werden, aber wir waren noch immer die einzigen Anwesenden. Um sie zu ermutigen, lehnte ich mich über den Tresen und hielt ihr auf verschwörerische Weise das Ohr entgegen.
„Die arme Familie“, flüsterte sie. „Es ist, als wäre sie verflucht.“
Verflucht ?, spottete mein Verstand. So wie i n … dazu verflucht, bei Halbmond zum Wolf zu werden?
Aber das konnte nicht sein. Weil ich nämlich nicht an Werwölfe oder Flüche glaubte. Gleichzeitig glaubte ich aber auch nicht an Zufälle.
13
„Was für eine Art von Fluch?“, raunte ich.
„Oh, natürlich kein echter Fluch.“ Mrs Beasly lachte verlegen und presste dabei ihre arthritische, wächserne Hand gegen ihre eingesunkene Brust. „Es steckt einfach nur extremes Pech dahinter. Oder möglicherweise auch Wahnsinn.“
Wahnsinn? Hey, das wurde ja immer besser.
„Sprechen Sie zufälligerweise von Adam?“ Sie bedachte mich mit einem flinken, scharfen Blick, den ich mit einem Schulterzucken beantwortete. „Ich habe mich ein bisschen umgehört, bevor ich hierherkam. Er war beim Militär. Ist verrückt geworden.“
„Ja, das erzählt man sich.“ Ihr Mund nahm einen strengen Zug an. „Aber ich habe nicht ihn gemeint.“
Ich bezähmte den Drang, sie zu schütteln, bis sie sämtliche Geheimnisse preisgab. Mrs Beasly gehörte zu jenen Frauen, die kein Wort mehr sagen würden, wenn man sie verärgert e – ich selbst tickte ganz ähnlich. Ich hätte meine nächste heiße Dusche darauf verwettet, dass die Info, mit der sie rausrücken würde, in keinem Buch gefunden werden könnte. Also hielt ich einfach die Luft an und wartete.
Nach einem weiteren, prüfenden Blick durch die gähnend leere Bibliothek, senkte sie die Stimme, bis ich praktisch auf den Tresen krabbeln musste, um sie zu verstehen.
„Selbstmord.“ Das Wort schien sich wie die Python Lazarus um meinen Nacken zu schlängeln.
„Wer?“
„Sowohl Adams Vater als auch sein Großvater.“
Ich runzelte die Stirn. Kein Wunder, dass Adam sich zur Armee geflüchtet hatte.
„Die Polizei war sich sicher, dass es sich um Suizide handelte?“
„Ja, weil sie sich beid e … “ Sie legte eine nervöse Pause ein. „Nun ja, sie haben sich eine Kugel in den Kopf geschossen.“
„Alle beide ?“
Mrs Beasly nickte. „Es gab eine Untersuchung, aber der Eintrittswinkel der Kugeln hat praktisch jeden Zweifel ausgeräumt. Allerdings standen die Söhne natürlich immer unter Verdacht.“
„Die Söhne ?“
„Adams Vater wurde verdächtigt, seinen Vater getötet zu haben, und Adam dann anschließend ihn.“
„Warum?“
„Die Polizei glaubte, dass es um Geld ging.“
„Aber da war keines?“
„Über den Ruelles hängt nicht nur der Fluch des Wahnsinns, sondern es ist auch so, dass sich alles, was sie anfasse n … “ Sie spreizte die Hände.
„In Scheiße verwandelt“, vollendete ich.
Ihr Mund wurde wieder streng. „Wenn Sie es so vulgär ausdrücken müssen.“
Das musste ich.
„Ihr vieles Land hat sie arm gemacht. Das Herrenhaus, der Sumpf. So etwas zu bewahren, kostet eine Menge Geld.“
„Warum steht das Haus überhaupt so nah am Sumpf?“, fragte ich. Das hatte mir von Anfang an Rätsel aufgegeben.
„Der erste Ruelle kam aus Frankreich über Kanada nach Louisiana.“
Ein Akadier also. Das hatte ich mir schon gedacht.
„Diese Leute, die Cajuns, blieben unter sich, aber auf die Ruelles traf das sogar noch mehr zu. Sie haben dieses Land zu einem Spottpreis gekauft und sich trotz ihrer über Jahrhunderte andauernden Pechsträhne stets geweigert, es zu verkaufen.“
Ich hatte diese Obsession, Land zu besitzen, noch nie nachvollziehen können, trotzdem waren genau aus diesem Motiv Kriege geführt und zahllose Menschenleben geopfert worden.
„Gab es irgendeinen Hinweis darauf, warum sich die beiden Ruelles umgebracht haben könnten?“, hakte ich nach. „Vielleicht einen
Weitere Kostenlose Bücher