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Wolfsfieber

Wolfsfieber

Titel: Wolfsfieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Adelmann
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um alles zu fühlen, was ich in so einer
    Furcht einflößenden Situation fühlen sollte. Doch die Angst
    würde kommen, dessen war ich mir sicher. Und sie war nä-
    her, als mir lieb war.
    Blitzartig riss jemand die alte Holztür auf und ich konnte
    durch die Fenster des Vorraumes sehen, dass es noch nachts
    war. Mein Entführer stand mitten in der Tür. Groß und be-
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    drohlich. Ich versuchte erschreckt zurückzuweichen, doch
    meine Fesseln gaben mir nicht genügend Bewegungsfreiheit
    dazu. Noch wagte ich es nicht, meinem Angreifer direkt ins
    Gesicht zu sehen. Ich starrte fassungslos geradeaus auf seine
    Brust und atmete schwer. Das Erste, was ich registrierte, war,
    dass ein Mann vor mir stand, etwa eins achtzig groß, mit brei-
    ten Schultern und von muskulöser, schlanker Gestalt. Er hat-
    te eine verdreckte Jeans und einen abgetragenen grauen Pul-
    lover an, trug weder Schuhe noch Socken, genau wie Istvan,
    bevor er sich verwandelte. Mir schwante Übles. Hatte ich es
    mit einem Werwolf zu tun? Es sprach noch mehr dafür. Es
    war draußen ziemlich kühl und er trug keine Jacke und keine
    Schuhe. Seine Füße waren staubig und matschig, als wäre er
    noch vor Kurzem durch den Wald gelaufen. Es gab nur einen
    Weg, sicher zu gehen. Ich musste den Kopf heben und ihm
    ins Gesicht sehen. Ich tat es zögerlich. Ein Mann Ende vierzig
    oder Anfang fünfzig stand ein paar Meter vor mir, ungerührt,
    ohne jede erkennbare Emotion. Er stand lange einfach nur so
    da. Er hatte kurz geschnittenes, braunes Haar, das mit grauen
    Strähnen durchsetzt war. Für sein Alter schien er sehr gut in
    Form zu sein, was für die Werwolf-Vermutung sprach. Sein
    Gesicht war gut proportioniert, aber in seinen Zügen lag et-
    was Raubtierhaftes, was durch die Falten um Mund und Au-
    gen verstärkt wurde. Er hatte dunkle, harte Augen und einen
    schmuddeligen Bart, wie man sie sich bei einem Seefahrer
    vorstellt. Sein ganzes Wesen wirkte sehr rau und roh, aber
    auch sehr männlich. Als er einen Schritt auf mich zu machte,
    war ich mir sicher, dass mein Herz gleich aussetzen würde.
    Doch es beruhigte sich wieder. Eine für mich typische Re-
    aktion in Stresssituationen. Je mehr ich eigentlich Grund zur
    Panik hatte, desto ruhiger wurde ich innerlich, auch wenn es
    eine angespannte Ruhe war. Ich blieb stumm, doch er schick-
    te sich an etwas zu sagen. Eine absurd raue, starke Stimme
    drang zu mir und füllte den ganzen Raum.
    „Jetzt bist du doch noch aufgewacht. Ich dachte schon,
    ich hätte mich verzettelt und müsste meine ganzen Pläne
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    über den Haufen schmeißen. Ihr Menschen seid einfach
    zu schwach! Ein bisschen scharfes Duftwasser und ihr seid
    gleich über zwei Stunden hinüber.“ Er schüttelte ungläubig
    und angewidert den Kopf.
    Ich räusperte mich und fand zu meiner Stimme zurück.
    Das musste ich gleich ausnutzen.
    „Wer zur Hölle sind Sie? Was wollen Sie von mir?“, schrie
    ich förmlich. Das schien ihm über die Maßen zu gefallen.
    „Na ja, wenigstens hast du Feuer in dir und allzu ängst-
    lich scheinst du auch nicht zu sein. Wenigstens hat mein
    Sohn keinen schlechten Geschmack, auch wenn er sich aus-
    gerechnet ein menschliches Weibchen aussuchen musste!“
    Ich war baff. Mein Mund stand offen und meine Kehle
    war so trocken, als wäre die ganze Sahara in ihr. Hatte dieser
    Mann, mein Entführer, tatsächlich das Wort „Sohn“ benutzt?
    Er hatte doch offensichtlich auf Istvan und mich angespielt.
    „Sohn!“ Das würde bedeuten … Nein, das konnte nicht sein.
    War dieser Mann, dieser Werwolf tatsächlich Istvans Vater?
    Oder meinte er es symbolisch? Wollte er mir zu verstehen
    geben, er sei sein „Erzeuger“, oder wollte er sich mir als leib-
    licher „Vater“ vorstellen, der offensichtlich auch haariges Fell
    hinter den Ohren zu haben schien. Ich fragte ihn noch ein-
    mal. Diesmal kleinlaut, voller Besorgnis: „Wer bist du?“
    Zuerst kam nichts, dann ließ er einen verärgerten Aus-
    druck erkennen und frotzelte genervt: „Das habe ich doch
    gerade gesagt. Ich hasse es, wenn ich mich wiederholen
    muss. Verdammte unzulängliche Menschen. Alles muss man
    dreimal sagen.“
    Er schien offenbar keinerlei Geduld zu besitzen.
    „Ich bin Istvans Vater. In jeder Hinsicht, die du dir vorstel-
    len kannst. Ich habe ihn gezeugt. Ich habe ihn erschaffen!“,
    setzte er hochmütig hinzu.
    „Aber wie ist das möglich? Sein leiblicher Vater soll doch
    schon lange tot sein?“
    „Ja, das hat ihm seine

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